Eben nicht!
Deutsche Jugendliche, die mit dem Programm weltwärts
einen Freiwilligendienst in sogenannten Entwicklungsländern leisten, sind keine
Entwicklungshelfer. Sondern das, was sie eben sind. Nämlich Jugendliche. Die
haben zwar ihren Schulabschluss in der Tasche, aber viel mehr auch noch nicht.
Zum Weltretten reicht das noch nicht ganz aus.
Aber zum Lernen.
Mit dem Leitspruch „Lernen durch tatkräftiges Helfen“ auf
den Fahnen gibt sich weltwärts selbst den Anspruch mehr ein freiwilliger
Lerndienst denn ein Hilfsprogramm zu sein.
Und so ist es auch.
Ich habe ein Jahr ohne meine
Familie und meine Freunde gelebt, fernab der Heimat und habe dabei erfahren,
was Heimat bedeutet, wie wichtig sie ist. Ich habe begriffen, warum Menschen
sie bewahren wollen und müssen, dass Heimat ein Teil der Identität ist. Sie zu
leugnen, würde heißen, sich selbst zu leugnen. Sie nicht ausleben zu dürfen,
hieße, als Individuum, als Mensch nicht akzeptiert zu sein.
Ich habe ein Jahr in Ghana
in Westafrika gelebt, als Weiße unter Schwarzen, habe gespürt, wie es ist,
aufzufallen, als Einzige anders zu sein, auf mein Aussehen, auf meine Hautfarbe
und nicht mein Wesen beschränkt zu werden. Ich habe gelernt, dass wir nicht
wissend von Diskriminierung sprechen können, solange wir sie nicht selbst
erlebt haben. Aber ich habe auch erfahren, was Toleranz wirklich bedeutet, wie
Umgang mit Ausländern, also Menschen anderer Herkunft als der eigenen, richtig
– und zwar menschlich! – sein kann.
Ich habe ein Jahr in der
ehemaligen Kronkolonie Goldküste gelebt, habe erfahren, wie aus dem Handel mit
dem Gold der Handel mit dem Menschen erwuchs. Ich habe verstanden, dass der
Reichtum des geografischen Nordens – unser Reichtum – auf der Ausbeutung des
Reichtums Anderer beruht. Dass Schuldenerlass und Entwicklungshilfe nur unser
Gewissen beruhigen, nicht aber helfen können, wenn wir nicht zu verzichten
lernen. Ich habe erkannt, dass die Abhängigkeiten der Kolonialpolitik noch
lange nicht vergangen sind, sich stattdessen über Politik und Wirtschaft hinweg
in den Köpfen vieler Menschen festsetzen, welche die vermeintlich gottgegebene
Ungerechtigkeit demütig akzeptieren.
Ich habe ein Jahr in
Santrokofi gelebt, habe Nachbarschaft, Herzlichkeit und ein Zuhause erlebt. Ich
habe gelernt, dass Familie und sozialer Halt wichtiger sind als jede noch so
stabil anmutende Karriereleiter, die isoliert von echten Werten des
Miteinanders.
Ich habe ein Jahr auf der anderen Seite der Globalisierung
gelebt und begriffen, was unser Leben im Überfluss bedeutet. Nämlich Verlust.
Verlust von Verteilungsgerechtigkeit, von Verantwortung für die Eine Welt.
Verlust von Wertschätzung für die Güter unseres Konsums und die Arbeit, die
damit verbunden ist. Verlust von der Kreativität und Do-it-yourself-Mentalität
des Menschen, die zu Relikten aus Zeiten des Mangels verkommen und uns somit zu
Opfern unseres eigenen Konsumverhaltens machen.
In der Tat. Ich habe viel gelernt. Und mit mir haben so viele
gelernt, die nachgefragt haben oder sich meine Geschichten anhören mussten.
Auch ihr, die ihr noch heute so oft meinen Blog anklickt (Ja, ich habe Zugriff
auf die Statistiken!). Auf diese Weise wirken weltwärts-Freiwillige als
Multiplikatoren für gegenseitige Verständigung.
Doch bei allem Honig, den ich weltwärts gerade ums Maul
schmiere, ist Kritik nicht fehl am Platz und es wäre blauäugig, sie hier zu
ignorieren.
Sicherlich ist die Frage angebracht, weshalb
diesen jungen Leuten ein Auslandsjahr aus öffentlichen Mitteln des
Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
finanziert wird, wenn es eigentlich gar nicht um wirtschaftliche Zusammenarbeit
und Entwicklung geht. Wenn das Geld eigentlich viel zielgerichteter angelegt
wäre, würde es etwa in Maßnahmen fairer Wirtschaft fließen oder in die Ausbildung
von Fachkräften vor Ort. In Projekte also, die derart zur Entwicklung beitrügen,
dass Entwicklungshilfe bald überflüssig werden könnte.
Zudem gibt es zwei Punkte, die ich an weltwärts ändern würde:
Einerseits betrifft dies das Taschengeld in Höhe von 100€, das
jeder Freiwillige – ganz egal, in welchem Gastland er arbeitet – monatlich
erhält. Dabei wird nicht beachtet, dass 100 Euro nicht in jedem Land ein- und
denselben Wert haben. Ist in einem Land wie Südafrika das Taschengeld wegen der
europaähnlichen Preisstandards relativ knapp bemessen, bekommen Freiwillige wie
ich in Ghana viel zu viel Geld. Den unausgebildeten Jugendlichen, denen zudem
Unterkunft und Verpflegung finanziert wird, mehr Geld auszuhändigen, als ein
ausgebildeter lokaler Arbeiter mit Frau und Kindern bekommen würde, ist
schlichtweg unfair. Und birgt die Gefahr, das Bild des „reichen Weißen“ zu
untermauern.
Zum anderen würde ich mich freuen, wenn weltwärts in Zukunft
gleichberechtigten Austausch fördern könnte und nicht nur jungen Erwachsenen
aus Deutschland das Privileg von Auslandserfahrung ermöglichen würde. Ich
stelle mir dabei Tandemprojekte vor, die für jeden entsendeten Deutschen einen
Freiwilligen aus dem Gastland im eigenen Land in Sozial- oder Umweltprojekten
aufnehmen. Auf diese Weise würden sie - wie ich - als Brücke zwischen zwei
Kulturen wirken, um gegenseitige Verständigung, Achtung und Toleranz zu
fördern. In ihrem eigenen Heimatland, wo womöglich idealisierte Vorstellungen
vom Leben in Deutschland kursieren und in Deutschland selbst, wo im
persönlichen Kontakt rassistische Tendenzen revidiert werden könnten.
Abschließend kann ich sagen, dass weltwärts, obwohl es noch
Verbesserung bedarf, wunderbare, teilweise sicherlich lebensweisende
interkulturelle und entwicklungspolitische Lernerfahrungen gerade für jene
bereit hält, die sich einen Auslandsaufenthalt ohne die finanzielle Unterstützung
nicht leisten könnten.