Donnerstag, 11. Oktober 2012

weltwärts. Ein Fazit

Aufopferungsvolle Heldin widmet ihr blutjunges Leben dem Aufbau gottverlassener Katastrophengebiete.

Eben nicht!

Deutsche Jugendliche, die mit dem Programm weltwärts einen Freiwilligendienst in sogenannten Entwicklungsländern leisten, sind keine Entwicklungshelfer. Sondern das, was sie eben sind. Nämlich Jugendliche. Die haben zwar ihren Schulabschluss in der Tasche, aber viel mehr auch noch nicht. Zum Weltretten reicht das noch nicht ganz aus.

Aber zum Lernen.
Mit dem Leitspruch „Lernen durch tatkräftiges Helfen“ auf den Fahnen gibt sich weltwärts selbst den Anspruch mehr ein freiwilliger Lerndienst denn ein Hilfsprogramm zu sein.
Und so ist es auch.

Ich habe ein Jahr ohne meine Familie und meine Freunde gelebt, fernab der Heimat und habe dabei erfahren, was Heimat bedeutet, wie wichtig sie ist. Ich habe begriffen, warum Menschen sie bewahren wollen und müssen, dass Heimat ein Teil der Identität ist. Sie zu leugnen, würde heißen, sich selbst zu leugnen. Sie nicht ausleben zu dürfen, hieße, als Individuum, als Mensch nicht akzeptiert zu sein.

Ich habe ein Jahr in Ghana in Westafrika gelebt, als Weiße unter Schwarzen, habe gespürt, wie es ist, aufzufallen, als Einzige anders zu sein, auf mein Aussehen, auf meine Hautfarbe und nicht mein Wesen beschränkt zu werden. Ich habe gelernt, dass wir nicht wissend von Diskriminierung sprechen können, solange wir sie nicht selbst erlebt haben. Aber ich habe auch erfahren, was Toleranz wirklich bedeutet, wie Umgang mit Ausländern, also Menschen anderer Herkunft als der eigenen, richtig – und zwar menschlich! – sein kann.

Ich habe ein Jahr in der ehemaligen Kronkolonie Goldküste gelebt, habe erfahren, wie aus dem Handel mit dem Gold der Handel mit dem Menschen erwuchs. Ich habe verstanden, dass der Reichtum des geografischen Nordens – unser Reichtum – auf der Ausbeutung des Reichtums Anderer beruht. Dass Schuldenerlass und Entwicklungshilfe nur unser Gewissen beruhigen, nicht aber helfen können, wenn wir nicht zu verzichten lernen. Ich habe erkannt, dass die Abhängigkeiten der Kolonialpolitik noch lange nicht vergangen sind, sich stattdessen über Politik und Wirtschaft hinweg in den Köpfen vieler Menschen festsetzen, welche die vermeintlich gottgegebene Ungerechtigkeit demütig akzeptieren.

Ich habe ein Jahr in Santrokofi gelebt, habe Nachbarschaft, Herzlichkeit und ein Zuhause erlebt. Ich habe gelernt, dass Familie und sozialer Halt wichtiger sind als jede noch so stabil anmutende Karriereleiter, die isoliert von echten Werten des Miteinanders.

Ich habe ein Jahr auf der anderen Seite der Globalisierung gelebt und begriffen, was unser Leben im Überfluss bedeutet. Nämlich Verlust. Verlust von Verteilungsgerechtigkeit, von Verantwortung für die Eine Welt. Verlust von Wertschätzung für die Güter unseres Konsums und die Arbeit, die damit verbunden ist. Verlust von der Kreativität und Do-it-yourself-Mentalität des Menschen, die zu Relikten aus Zeiten des Mangels verkommen und uns somit zu Opfern unseres eigenen Konsumverhaltens machen.

In der Tat. Ich habe viel gelernt. Und mit mir haben so viele gelernt, die nachgefragt haben oder sich meine Geschichten anhören mussten. Auch ihr, die ihr noch heute so oft meinen Blog anklickt (Ja, ich habe Zugriff auf die Statistiken!). Auf diese Weise wirken weltwärts-Freiwillige als Multiplikatoren für gegenseitige Verständigung.

Doch bei allem Honig, den ich weltwärts gerade ums Maul schmiere, ist Kritik nicht fehl am Platz und es wäre blauäugig, sie hier zu ignorieren.
Sicherlich ist die Frage angebracht, weshalb diesen jungen Leuten ein Auslandsjahr aus öffentlichen Mitteln des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung finanziert wird, wenn es eigentlich gar nicht um wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung geht. Wenn das Geld eigentlich viel zielgerichteter angelegt wäre, würde es etwa in Maßnahmen fairer Wirtschaft fließen oder in die Ausbildung von Fachkräften vor Ort. In Projekte also, die derart zur Entwicklung beitrügen, dass Entwicklungshilfe bald überflüssig werden könnte.

Zudem gibt es zwei Punkte, die ich an weltwärts ändern würde:

Einerseits betrifft dies das Taschengeld in Höhe von 100€, das jeder Freiwillige – ganz egal, in welchem Gastland er arbeitet – monatlich erhält. Dabei wird nicht beachtet, dass 100 Euro nicht in jedem Land ein- und denselben Wert haben. Ist in einem Land wie Südafrika das Taschengeld wegen der europaähnlichen Preisstandards relativ knapp bemessen, bekommen Freiwillige wie ich in Ghana viel zu viel Geld. Den unausgebildeten Jugendlichen, denen zudem Unterkunft und Verpflegung finanziert wird, mehr Geld auszuhändigen, als ein ausgebildeter lokaler Arbeiter mit Frau und Kindern bekommen würde, ist schlichtweg unfair. Und birgt die Gefahr, das Bild des „reichen Weißen“ zu untermauern.

Zum anderen würde ich mich freuen, wenn weltwärts in Zukunft gleichberechtigten Austausch fördern könnte und nicht nur jungen Erwachsenen aus Deutschland das Privileg von Auslandserfahrung ermöglichen würde. Ich stelle mir dabei Tandemprojekte vor, die für jeden entsendeten Deutschen einen Freiwilligen aus dem Gastland im eigenen Land in Sozial- oder Umweltprojekten aufnehmen. Auf diese Weise würden sie - wie ich - als Brücke zwischen zwei Kulturen wirken, um gegenseitige Verständigung, Achtung und Toleranz zu fördern. In ihrem eigenen Heimatland, wo womöglich idealisierte Vorstellungen vom Leben in Deutschland kursieren und in Deutschland selbst, wo im persönlichen Kontakt rassistische Tendenzen revidiert werden könnten.

Abschließend kann ich sagen, dass weltwärts, obwohl es noch Verbesserung bedarf, wunderbare, teilweise sicherlich lebensweisende interkulturelle und entwicklungspolitische Lernerfahrungen gerade für jene bereit hält, die sich einen Auslandsaufenthalt ohne die finanzielle Unterstützung nicht leisten könnten.

Freitag, 14. September 2012

Was bleibt


Gesammelte Schönheit.
Heiße, feuchte Luft. Zwei Salzkörner im Pfeffersack. Monsungeprassel auf Wellblechdach. Den Dreck aus den Nackenfalten rubbeln. Ghana peaceful country. Schamlos Fischköpfe abbeißen. Aus Mangobäumen lukende Kinderbeine. Die Brücke über den Voltafluss in Atimpoku. Wenn Lachen Verstehen schafft. Die Stimmen der Marktfrauen. Kindern das Zungerausstrecken beibringen. Von Herzen. Wenn Freundschaft spürbar wird. Die Welt aus dem Trotrofenster. Akzeptanz der Andersartigkeit. Kopftuchorigamie. Zunge auf Entdeckungsreise. Kinderlachen. Hölzerne Drinking Spot Luft. Das Hupen der FanIce-Fahrräder. Wenn die Finger vor Schärfe kribbeln. Nachbarschaft, die Freunde schafft. Vor Hitze schweigende Mittagsstunden. Nähe zulassen. Light Off. Vollgestopfte Taxifahrten. Unendliches Vertrauen. Kokosnüsse ausschlürfen. Nachrichten von Zuhause. Die Geheimzutat für Avocados, Jollof Rice und eigentlich alles. Liebe machen. Der Gesang des Muezzins. Tief durchatmen. Palmen, Bananenstauden und Urwaldriesen. Tausend mögliche Realitäten im Qualm. Dit daaa dit dit. Gekonnter Small Small Smalltalk. Das allgegenwärtige Grün. Lelala. Stark bleiben. Unser Picknickplatz. Gute Ideen, die noch besser werden. Wenn die Farbe zurückkommt. Veränderungen erkennen. Schwarze Bergkonturen im rosa-violetten Akpeteshi-Schummer. Sich aufrappeln. Straßenbekanntschaften. Kakaobohnen lutschen. Kommen Vögel geflogen. Bedächtige Muslimenblicke. Ziegengemecker. Der Geruch von Key Soap. Wenn Entbehrungen eigentlich keine sind. Unkomplizierte Leichtigkeit. We thank God for it. Freipullern. Clap Clap Clapclapclap Clap. Mit angewinkeltem Bein einschlafen. Weit, weit weg von Luxusproblemen. Eine Schwester haben. Geliebte Wolkenbrüche. Die Wunderbar. Nicht allein sein. Und sehen, dass es gut ist. Auf dem Ozean treiben. Straßengeholper. Der Geschmack von Pepsodent. Ntu lenyenene. Eine Umarmung, die alles ist. Mbo Sanco. Ein Zuhause finden.

Freitag, 31. August 2012

Kulturschock Part II


Zurück in Deutschland. Zurück im gelobten Land, in dem leben zu können, ich vor Wochen noch beneidet worden bin. Zurück im Land, in dem Milch und Honig fließen und Nadelbäume statt Ölpalmen aus dem Boden sprießen.
Zurück im alten Leben. Ist es das noch?

Ich wusste, dass es nicht leicht sein würde, sich in einer fremden Kultur einzuleben. Doch warum ist es so verdammt schwer, in meiner eigenen anzukommen?
Ich fühle mich fremd. Fremd und einsam. Wenn ich allein im Bett liege, allein in diesem großen Zimmer, in diesem viel zu großen Haus. Fremd in all dem stummen Platz. All der Ruhe. Es ist so schrecklich still! Fremd vor meinem großen Kleiderschrank. Fremd, wenn ich diese riesigen Bildschirme sehe oder das 24-Stunden-Internet, das die Leute in Hosentaschen mit sich herum tragen. Fremd, wenn ich in Mülleimer schaue, in denen liegt, was kein Müll ist. Fremd, wenn ich den Kühlschrank öffne. Fremd, wenn so viel möglich ist, dass man es unmöglich alles ausschöpfen kann. Fremd in all dem Überfluss.

So sieht das Leben aus, das ich in Ghana nicht mehr verstehen konnte, das ich belächelte und regelrecht verabscheute.
Ich bin überfordert, wenn ich im Supermarkt vor unzähligen prall gefüllten Regalen stehe, deren Auswahl mich erschlägt. Mir wird schlecht, wenn ich diese viel zu vielen Nahrungsmittel sehe, die tausende Kilometer verschifft worden sind, um hier nicht gekauft und deshalb weggeworfen zu werden. Und ich bekomme das blanke Kotzen, wenn ich mitkriege, mit welcher Hysterie die Leute alle paar Monate ihre Handys ersetzen, deren Kupfer- und Aluminiumbestandteile in Accras Elektromüllslum von ghanaischen Kindern heraus geschmolzen werden.

Das ist ein Leben im Überfluss, den es in einem Entwicklungsland wie Ghana nicht für alle gibt. Das bedeutet allerdings nicht, dass Deutschland keine Mangelerscheinungen kennt. Ein Schalk ist, wer den Reichtum dieses Landes einzig an seinen importierten Gütern zu messen vermag. Menschlich gesehen, finde ich, ist Deutschland das größere Entwicklungsland. Das klinisch saubere Land, in dem sich Menschen nur mit Fingerspitzen berühren, um keine Fingerabdrücke zu hinterlassen, lieber wegschauen, um nicht der Gafferei bezichtigt zu werden, Gartenzäune und Mauern bauen, um sich zu verstecken, um sich abzugrenzen, um den Nachbarn ignorieren zu können, um nicht gesehen zu werden, wenn sie zum Lachen in den Keller gehen.
Von dem einen zu viel, vom anderen zu wenig.

Ich bin zurück in Deutschland. Alles hat noch seinen Platz, nur ich nicht mehr. Ich will ihn nicht einnehmen, den Platz, der für mich freigehalten worden ist. Ich will nicht so tun, als sei nichts gewesen, als hätte ich einfach nur den Winter verschlafen. Es käme mir vor wie Verrat an meinem Leben in Ghana, in dem ich alles hatte, was ich brauchte. Von dem einen weniger, vom anderen mehr.
Vielleicht ist es diese Einstellung zum Leben, die ich aus Ghana mitgebracht habe und die meine Zeit in diesem Land nicht verblassen lassen wird, wenn ich nicht erblinde, bei so viel Blendung. Vielleicht ist es egal, ob ich mir Kente-Webereien an die Wand hänge, Azonto tanze oder das Essen nachpfeffere, um mein kurzes Leben in Ghana, das ein neues war, nicht als altes ablegen zu müssen, solange ich nicht die Einstellung ablege, die dieses Leben ausmacht.

Freitag, 17. August 2012

Dienstag, 14. August 2012

We shall meet

Bekanntlich soll man gehen, wenn es am schönsten ist. Auch wenn das einfach nur weh tut…

 Wir sind Helden_Bring mich nach hause