Dienstag, 17. Juli 2012

Ein anderes Ghana


Seitdem ich in Ghana bin, verbinde ich das Wort „Norden“ nicht mehr mit Fisch, Werder Bremen, Fettes Brot und der See. Vielmehr mit Trockenheit, Armut, Islam und Nichts.
Nordghana ist ein anderes Land. Nicht viel hat es gemein mit dem Reichtum des Südens. Nicht die Geschichte. Nicht die Sprache. Nicht die Vegetation. Nicht den Glauben.

Ghanas Nord-Süd-Unterschied ist historisch und geografisch bedingt.
Im Süden leben wegen der Nähe zur Küste und zum Voltasee viele Fischer und Kakao-, Ölpalmen- und Yamsbauern. An der Küste siedelten sich auch die ersten Europäer an und begannen unter britischer Kolonialherrschaft, den Süden nach britischem Vorbild zu entwickeln und das Christentum zu verbreiten. Der Norden war dagegen schon immer das Gebiet muslimischer Nomaden, die aus dem nahen Sahel kamen. Außer Dürre, einer intensiveren Sonnenstrahlung und den Viehherden und Getreideprodukten der Nomaden hatte der Norden den Kolonialherren nicht viel Attraktives zu bieten. Diese interessierten sich vorwiegend für den rohstoffreichen Süden und beließen den Norden weitgehend so, wie er war.

Nordghana ist ein anderes Land.
Das spürte ich, als ich vom Schiff aus das flache Land mit den sonderbaren Bäumen und den dazwischen grasenden Schafen erkennen konnte, als ich nach dreitägiger Schiffsfahrt auf festem Boden in Yeji angekommen den ersten Muezzin sein Lied singen hörte, als ich festgeklammert an einem Holzbalken über holprige rote Sandstraße rüttelte.

Makango.
Auf dem rückspiegellosen Transporter: Der den fehlenden Spiegel ersetzende Junge. Die Frauen, die so laut über ihr Bild auf dem Cameradisplay und die verdutzten Kinder am Straßenrand lachen. Und wir zwei von der sandroten Schönheit Begeisterten.
Rechts und links: Land, das Savanne heißt. Ihm fehlt die Farbe. Gras, Gestrüpp, das mal Gras war, legt sich ockergelb auf rotbraunem Erdboden schlafen.
Die Ladefläche ist voll mit Säcken, Schüsseln, Gepäck. Und mit Herzlichkeit. Die Frauen geben uns Pito, Hirsebier, das wie Palm Wine schmeckt, und lachen ungeniert bei jedem Schlagloch, das uns das Gebräu in die Nase sprudelt. Ich glaube tatsächlich, neben meiner Oma zu hocken, als ich Kürbiskerne in die Hand gedrückt bekomme und meine Sitznachbarin meine von der unterschätzten Sonnenintensität verbrannte Haut behutsam mit einem um ihre Hüfte geschlungenen Stoff bedeckt.


Salaga.
Gelbe Stadt mit schönem, reinem Namen. Mit bedeutender Geschichte. Knotenpunkt ehemals bedeutender Handelsstraßen. Marktplatz für die Tauschware Mensch.
Die Dörfer, die Häuser sehen hier anders aus. Einfarbig, geordnet. Familien trennen ihre Rundhäuser mit Lehmmauern voneinander ab, bilden Vorhöfe. Wände aus Bastgewebe, Dächer aus Stroh.
Davor sitzen im Schatten Muslime. Lang und dünn, markante Gesichtszüge, die Wangenknochen sind es und die Stirnfalten, manchmal ein charakteristischer Bart um die schmalen Lippen. Augen schauen bedächtig, kritisch, senden gleichzeitig Ruhe aus und, wenn sie angelächelt werden, Wärme. Nordwärme. Auf ovalen Köpfen thronen stolz wie kleine Kronen rundschachtelförmige Kappen, bestickt und bedruckt mit Moscheen unter Sternen und Halbmondsicheln. Türkisblau, weiß, golden. Oder elegant über das Kopftuch gelegte Stoffe. Tüll, seidig glänzend, funkelnd. Betonen Augen, schöne, kraftvolle, bestimmte Augen. Dünne, vergebende, respektvolle Körper stecken in langen, oft einfarbigen Gewändern. Beneidenswert weiß zwischen all den Dreck-, Sand- und Staubquellen.


Tamale.
Rasant wachsende Hoffnung des Nordens. Moscheen und Minarette in Pastelltönen, in reich verzierten Knallfarben. Aus Lautsprechern hallen die Gebete der Muezzine. Nachts wie ein Film. Dunkelheit umhüllt die arabischen Klänge. Ihrem Weg folgende Menschen. Im Gleichklang auf- und niederbebende Kappen. Leuchtfeuer am Straßenrand: Orangen, Kekse, Fleischspieße. Der Halbmond ruht über den Moscheen, schmal und schön. Darüber der Stern, unser Stern.
Angst vor dem Islam? Ich kann sie nun noch weniger verstehen. Die Frauen laufen nicht verschleiert durch die Straßen, sie tragen Kopftücher, die bei der Hitze eine reine Wohltat sind. Die Menschen leben in jener Gelassenheit, die für Mittagspausen in der Sonne die passende ist. Leben und leben lassen.
Stattdessen muss ich mich beim Anblick offensiv schreiender, mit gewaltiger Stimmkraft Anhänger suchender Priester im Süden fragen, für welche Religion eine gewisse Angst gerechtfertigt ist.
Das Christentum gehört zweifelsfrei zu Ghana. Der Islam auch. Ghana schafft sich trotzdem nicht ab.


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