Seitdem ich in Ghana bin, verbinde ich das Wort „Norden“
nicht mehr mit Fisch, Werder Bremen, Fettes Brot und der See. Vielmehr mit
Trockenheit, Armut, Islam und Nichts.
Nordghana ist ein anderes Land. Nicht viel hat es gemein mit
dem Reichtum des Südens. Nicht die Geschichte. Nicht die Sprache. Nicht die
Vegetation. Nicht den Glauben.
Ghanas Nord-Süd-Unterschied ist historisch und geografisch
bedingt.
Im Süden leben wegen der Nähe zur Küste und zum Voltasee
viele Fischer und Kakao-, Ölpalmen- und Yamsbauern. An der Küste siedelten sich
auch die ersten Europäer an und begannen unter britischer Kolonialherrschaft, den
Süden nach britischem Vorbild zu entwickeln und das Christentum zu verbreiten.
Der Norden war dagegen schon immer das Gebiet muslimischer Nomaden, die aus dem
nahen Sahel kamen. Außer Dürre, einer intensiveren Sonnenstrahlung und den
Viehherden und Getreideprodukten der Nomaden hatte der Norden den
Kolonialherren nicht viel Attraktives zu bieten. Diese interessierten sich
vorwiegend für den rohstoffreichen Süden und beließen den Norden weitgehend so,
wie er war.
Nordghana
ist ein anderes Land.
Das spürte
ich, als ich vom Schiff aus das flache Land mit den sonderbaren Bäumen und den
dazwischen grasenden Schafen erkennen konnte, als ich nach dreitägiger
Schiffsfahrt auf festem Boden in Yeji angekommen den ersten Muezzin sein Lied
singen hörte, als ich festgeklammert an einem Holzbalken über holprige rote
Sandstraße rüttelte.
Makango.
Auf dem
rückspiegellosen Transporter: Der den fehlenden Spiegel ersetzende Junge. Die
Frauen, die so laut über ihr Bild auf dem Cameradisplay und die verdutzten
Kinder am Straßenrand lachen. Und wir zwei von der sandroten Schönheit Begeisterten.
Rechts und
links: Land, das Savanne heißt. Ihm fehlt die Farbe. Gras, Gestrüpp, das mal
Gras war, legt sich ockergelb auf rotbraunem Erdboden schlafen.
Die
Ladefläche ist voll mit Säcken, Schüsseln, Gepäck. Und mit Herzlichkeit. Die
Frauen geben uns Pito, Hirsebier, das wie Palm Wine schmeckt, und lachen
ungeniert bei jedem Schlagloch, das uns das Gebräu in die Nase sprudelt. Ich
glaube tatsächlich, neben meiner Oma zu hocken, als ich Kürbiskerne in die Hand
gedrückt bekomme und meine Sitznachbarin meine von der unterschätzten
Sonnenintensität verbrannte Haut behutsam mit einem um ihre Hüfte geschlungenen
Stoff bedeckt.
Salaga.
Gelbe Stadt
mit schönem, reinem Namen. Mit bedeutender Geschichte. Knotenpunkt ehemals
bedeutender Handelsstraßen. Marktplatz für die Tauschware Mensch.
Die Dörfer,
die Häuser sehen hier anders aus. Einfarbig, geordnet. Familien trennen ihre
Rundhäuser mit Lehmmauern voneinander ab, bilden Vorhöfe. Wände aus Bastgewebe,
Dächer aus Stroh.
Davor
sitzen im Schatten Muslime. Lang und dünn, markante Gesichtszüge, die
Wangenknochen sind es und die Stirnfalten, manchmal ein charakteristischer Bart
um die schmalen Lippen. Augen schauen bedächtig, kritisch, senden gleichzeitig
Ruhe aus und, wenn sie angelächelt werden, Wärme. Nordwärme. Auf ovalen Köpfen
thronen stolz wie kleine Kronen rundschachtelförmige Kappen, bestickt und
bedruckt mit Moscheen unter Sternen und Halbmondsicheln. Türkisblau, weiß,
golden. Oder elegant über das Kopftuch gelegte Stoffe. Tüll, seidig glänzend,
funkelnd. Betonen Augen, schöne, kraftvolle, bestimmte Augen. Dünne,
vergebende, respektvolle Körper stecken in langen, oft einfarbigen Gewändern.
Beneidenswert weiß zwischen all den Dreck-, Sand- und Staubquellen.
Tamale.
Rasant
wachsende Hoffnung des Nordens. Moscheen und Minarette in Pastelltönen, in
reich verzierten Knallfarben. Aus Lautsprechern hallen die Gebete der Muezzine.
Nachts wie ein Film. Dunkelheit umhüllt die arabischen Klänge. Ihrem Weg
folgende Menschen. Im Gleichklang auf- und niederbebende Kappen. Leuchtfeuer am
Straßenrand: Orangen, Kekse, Fleischspieße. Der Halbmond ruht über den
Moscheen, schmal und schön. Darüber der Stern, unser Stern.
Angst vor dem Islam? Ich kann sie nun noch weniger
verstehen. Die Frauen laufen nicht verschleiert durch die Straßen, sie tragen
Kopftücher, die bei der Hitze eine reine Wohltat sind. Die Menschen leben in
jener Gelassenheit, die für Mittagspausen in der Sonne die passende ist. Leben
und leben lassen.
Stattdessen muss ich mich beim Anblick offensiv schreiender,
mit gewaltiger Stimmkraft Anhänger suchender Priester im Süden fragen, für
welche Religion eine gewisse Angst gerechtfertigt ist.
Das
Christentum gehört zweifelsfrei zu Ghana. Der Islam auch. Ghana schafft sich
trotzdem nicht ab.
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