Freitag, 23. September 2011

Sag mir deinen Namen und ich sag dir, wann du geboren wurdest

Wenn ghanaische Eltern ein Kind bekommen, dann erübrigt sich für sie wenigstens eine Sorge: Die Qual der Namenswahl. Denn in Ghana folgt die Namensgebung einer Jahrhunderte alten Tradition. Dabei entscheidet der Wochentag der Geburt über den Vornamen.
Mädchen, die sich an einem Mittwoch aus dem Mutterbauch trauen, werden Akua genannt. Freitags-Jungs heißen Kofi. Wie der als UN-Generalsekretär berühmt gewordene Kofi Annan.
Bei Zwillingen wird der Name Atta vergeben, den auch der ghanaische Präsident Atta Mills trägt.

Wie in so vielen Lebensbereichen geben sich in Ghana auch bei der Namensgebung überlieferte Werte und modernes Denken die Klinke in die Hand. So besitzen Ghanaer noch einen zweiten Vornamen, den so genannten Christian Name, der zu der Zeit eingeführt wurde, in der Ghana von englischen (Ostghana von deutschen) Christen kolonalisiert, missioniert und fremdbeherrscht wurde.
Weil auch die Amtssprache Englisch ist, tragen viele Kinder englische Vornamen wie John, Benjamin und Mary. Neben diesen auch heute in Deutschland üblichen Namen musste ich mir ein Schmunzeln unterdrücken, als sich mir Ansgar und Oswin vorstellten. Dreizehn und zehn Jahre jung.
Verblüffter war ich nur noch bei Napoleon und Bismarck. Beide wesentlicher bodenständiger und menschenfreundlicher als ihre historischen Pendants.
Und dann gibt es noch die Namen, die ich weder aus der Gegenwart noch aus dem Geschichtsbuch kenne, viel eher aus dem Englischunterricht, als es um menschliche Eigenschaften ging. In Ghana können Eltern nämlich ihren Kindern Gaben nicht bloß in die Wiege legen, sondern lassen Justice, Wisdom und Talent direkt in die Geburtsurkunde eintragen.

Doch wie mir diese Namen erst einmal ungewöhnlich vorkamen, war auch den Menschen in Ghana mein Name fremd. Mittlerweile habe ich mich daran gewöhnt, dass der in Deutschland so häufig anzutreffende Name Melanie ein kleiner Zungenbrecher ist. Ich höre jetzt auch auf Melody, Melonie und Melaaaaanie.

Montag, 19. September 2011

Dschungelgeflüster

Schon bei meiner Ankunft in Sanko habe ich über diese hohen, steilen, saftigen Berge gestaunt, ziemlich erleichtert darüber, ein Jahr in dieser frischen Ruhe verbringen zu können und nicht im hektischen, hupenden, vom vielen Sand grell gelben Accra.

Jeden Morgen bin ich aufs Neue fasziniert, wenn sich weiße und graue bisweilen schwarze Wolkenfetzen und Wolkenbäusche in den Baumkronen verfangen, sie bald ganz verdecken wie ein Magier mit seinem Zaubermantel.
Dort wollte ich hin!



Mit Ruth wagte ich den Versuch – vorsichtshalber in Turnschuhe eingepackt. Dornen, Schlangen, man weiß ja nie… Man weiß tatsächlich nie! Denn nachdem wir uns geschickt vor den Kindern versteckt in den Wald geschlichen hatten, fanden wir uns in einem ganzen Heer biestiger, ekelhaft hartnäckiger Ameisen wieder. Zeckenähnlich und schmerzintensiv bohren sich diese Mistviecher mit ihren starken Saugrüsseln oder Stacheln oder Wasauchimmer in Füße und Beine und alle anderen Prachtstücke, die ein menschlicher Körper zu bieten hat.

Da ich aber mein zukünftiges Bergsteigerdasein nicht von kleinen Krabbeltieren abhängig machen wollte, traute ich mich erneut in die Grüne Hölle. Und stellte fest, dass sie das Grüne Paradies ist.
Ich stieg über Stock und Stein, Wurzel und Kletterwuchs. Durchgänge, gebildet aus zwei Bäumen, umrankt von Farnen und Schlingpflanzen wirken wie grüne Tore in neue Vorhöfe mit Bananenstauden und Palmen. Am Boden hanfartige Blätter mir roten Stielen. Hinter manchen Biegungen hohe, schlanke, überragende Bäume. Ein dicker Baum, abgeschürfte Rinde, die in die in der Luft hängenden Wurzeln übergeht.



Vor lauter Baumkronen ist das Tal nicht mehr zu sehen. Aber zu hören.
Getanze. Getrommel. Gelache. Die Töne des Dorfes als seichte Geräuschkulisse. Wie eine Erinnerung, irgendwann wieder herab zu steigen.
Sonst nur Knacksen und Knistern. Geräusche, die Regentropfen machen, wenn sie von Blättern auf andere Blätter rieseln. Nahe und ferne Vogellaute. Flip-Flop Flip-Flop.

Mittwoch, 7. September 2011

Ghana vor, doch kein Tor!


Als ich meinem Bruder erzählte, ein Jahr in Ghana zu verbringen, war seine erste Reaktion ein leicht irritierendes „Ghana? Immerhin spielen die gut Fußball.“

Am Montagabend treffen sich in London die ghanaische und die brasilianische Nationalmannschaft zum fröhlichen Fußballspielen. In aller Freundschaft.
Eine Freundin fragte einmal, warum es denn FREUNDSCHAFTSspiel heiße, wenn sich die Testosteronbolzen auf dem Platz dennoch foulen…
Am Montagabend treffen sich in Santrokofi die ghanaischen und die deutschen Dorfbewohner zum fröhlichen Fußballschauen. In aller Freundschaft.
Dank nur zweistündiger Zeitverschiebung. Und dank einer netten Dame, die ihr Wohnzimmer samt Fernsehgerät zum Public Viewing bereitstellt.

Warum wird Frauen eigentlich immer unterstellt, sie würden nicht das Runde auf seinem Weg ins Eckige bestaunen, sondern vielmehr die stählern trainierten Adoniskörper, die zwischen den zwei Eckigen auf dem Grünen umhertanzen?Völliger Quatsch! In meinem Fall muss frau dafür nämlich nicht auf die schimmernde Mattscheibe stieren – es reicht schon, sich im Raum umzuschauen…
Der ist irgendwann mit etwa vierzig Frauen und Männern aller Altersklassen, heißer, im Ventilator rotierender Luft und einem kollektiven Ernüchterungsseufzer gefüllt – das 1:0, kurz vor dem Halbzeitpfiff.

Die Pause ist kaum anders als in Deutschland.
Pipi-Pause für die einen, Werbepause für die anderen.
Werbespots über Handys, Bier und irgendwas mit Autos sind in Ghana übrigens auch nicht origineller als in Deutschland…
Wenn zur Spieleinschätzung ein Mann à la Günter Netzer seine Theorien vorpeitscht, sind alle wieder da, um ihm zustimmend oder belustigt zuzuhören.

Pfiff zur zweiten Halbzeit.
Das Spiel bleibt schwunglos und wenig aufregend. Ghanaische Ballverluste, Fehlpässe, noch nicht einmal ein Foul – ist schließlich ein Freundschaftsspiel. Das Runde, pardon, der Ball tummelt sich immer vor dem ghanaischen Tor, schafft es kaum in die andere Spielhälfte.
Ist das guter Fußball, Bruderherz?
Aber das scheint keinen zu interessieren. Auch in der achtzigsten Minute sehe ich keine einzige grimmig die nicht mehr zu verhindernde Niederlage bedauernde Miene. Spannung und Freude. Ganz nach der Devise: Wenn es schon keine Torchancen gibt, dann jubeln wir eben über die tollen Paraden des Torwarts nach den Freistößen. Und zwar richtig! Von außen hätte jemand, der deutschen Torjubel gewohnt ist, glauben müssen, der Ausgleich sei gefallen. Ich wünsche mir ein Tor für Ghana, schon allein, um zu erleben, wie dieses Toben zu steigern ist.

Vielleicht beim nächsten Mal. Dann könnte sich sogar mein Brüderchen noch was abgucken. Auch wenn es auf dem englischen Rasen nicht sehr heiß herging, vor der ghanaischen Mattscheibe dagegen umso mehr.

Ghana? Immerhin feiern die gut Fußball!

Montag, 5. September 2011

Kid's Corner

Vom Windelkind – obwohl ich hier noch keine einzige Windel gesehen habe – bis zum Teenager stolpert und stapft es durchs Gras hinauf in ein langes Holzhaus mit den bunten Buchstaben „Kid’s Corner“.
Das Kid’s Corner ist ein Ort, an den jedes Kind des Dorfes kommen darf. Zum Lernen, zum Spielen, zum Entdecken. Zum Kindsein.


Auch wenn die Uhrzeit keine große Rolle im Leben der Kinder spielen sollte, „2 o’clock“ heißt das Schlagwort, das sie alle kennen. Dann öffnet das Kid’s Corner, die Kleinen kuscheln sich auf die ausgerollten Teppiche und schnappen sich die ausgelegten Bücher. It’s reading time! Bücher zum Anfassen und Umblättern! Von daheim kennen das die wenigsten. Dann ist es auch egal, dass die Kleinen noch gar nicht lesen können und einfach nur die Bilder anschauen.

Was nach der obligatorischen Lesezeit passiert, liegt nun in den Händen von Ruth und mir. Wir bereiten meistens etwas für zwei Altersgruppen vor. Für die Kleinsten -  die Vorschüler - und für die größeren Kleinen - die Schulkinder bis zur vierten Klasse. Die Großen sind im Nebenraum, wo sie malen und lesen oder von unserem Kollegen Forster Englischunterricht erhalten. Freiwillig. Und das in den Ferien!
Nachdem Ruth und ich mit unserer bald kleinen, bald großen Kinderschar Zahlenbilder verbunden, Gemüse in yellow, green and red ausgemalt, Dreiecke und Quadrate gezeichnet, mit Krepppapierschnipseln eine riesengroße Sauerei veranstaltet und ganz viele andere garantiert irgendwie pädagogisch wertvolle Dinge getan haben, beginnt Teil III.

Teil III dürfte der Grund sein, warum es noch immer Menschen gibt, die keine kleinen Kinder mögen. Teil III könnte auch dafür verantwortlich sein, warum Ohropax sich einen so großen Namen gemacht hat, warum Anti-Graue-Haare-Mittel und Psychotherapeuten immer beliebter werden.
Denn Teil III ist Kinderzeit. Richtige Kinderzeit. Mit Brumm-Brumm-Autos und Bauklötzern, Klettergerüst und Tischtennis. Mit  Spielsteinen und Springseilen, Puzzles und Zirkusgeräten. Und mit Puppen. Die Puppen scheinen, auch wenn manchen ein Kopf fehlt, die beliebtesten Spielsachen überhaupt zu sein. Was folgt, wenn der Sack mit den Puppen herausgeholt wird, erinnert mich immer an die Curry-King-Werbung…
Die Kinder quirlen herum, springen sich vor die Füße, glucksen schreiend durcheinander, fallen kopfüber und stehen wieder auf, streiten sich wegen unwichtigen Dingen, die die Welt bedeuten, und geben sich kurz danach die Hand, sind laut, lebendig und lebensfroh. Und genau deshalb liebe ich Teil III so sehr.