Donnerstag, 22. Dezember 2011

Mittwoch, 7. Dezember 2011

Traditionsbewusst

Tradition war für mich immer eines dieser graubärtigen Worte, die ich mit Trachtenschauen und Volksmusik verband und die von trachtentragenden, volksmusikhörenden CSU-Wählern hoch gelobt werden. Tradition als Synonym für dicke Staubschichten.

Alle Jahre wieder wünscht mir John Lennon beim Plätzchenbacken Happy Christmas, wärmt Glühwein meine erfrorenen Hände auf dem Weihnachtsmarkt, klingt das Orgelspiel des Kantors bei „Oh du Fröhliche“ wie Sternenflimmern.
Alle Jahre wieder. Nur dieses nicht.
Am Nikolausabend standen statt blank geputzter Stiefel provisorisch abgeschrubbte Flip-Flops vor meiner Tür, Nelson Mandelas gesammelte Lieblingsgeschichten aus Afrika ersetzen Grimms Hausmärchen, Bananenblätter und Palmwedel verwandeln sich in Tannen- und Mistelzweige.
Weil bald Weihnachten ist. Und weil Nikolausstiefel, Märchen und Tannenzweige zu Weihnachten gehören. Weil es doch immer so war und auch dieses Jahr so sein muss. Und plötzlich wird dieses eingestaubte Wort Tradition zu etwas Warmem, das sich wie Zuhause anfühlt.
Heimat dank Erinnerungen an alle Jahre wieder.

Tradition wirkt durch Erinnerung. Durch Wiederholung. Alle Jahre wieder.
Und weil jeder Erinnerungen anders empfindet, kann es auch nicht die eine, die richtige Tradition geben. Meine ghanaischen Kinder würden es nicht verstehen, schmückte ich das Kid’s Corner mit grünen Zweigen und Schneemännern, sie würden mich für verrückt erklären, gäbe ich ihnen heißen Kakao zu trinken.
Das tue ich auch nicht. Ich lasse sie Weihnachten feiern, wie sie es kennen. So wie sie mich Kerzen anzünden und „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“ schauen lassen.
Anpassung verstanden als Akzeptanz der Andersartigkeit anstatt als Zwang zur Adaption.
Traditionsbewusstsein, um sich der Wirkung der Tradition bewusst zu sein. Für sich selbst und für andere. Um verstehen zu können, weshalb andere Menschen ihre eigenen Traditionen pflegen.

Wer sich traditionsbewusst nennt, wer seine eigene Tradition durch andere bedroht sieht, wer den Teufel samt Kopftuch an die schwarz-rot-goldene Wand malt, wer Andere zur Aufgabe ihrer Traditionen zwingen will, der soll bitte versuchen, fernab der Heimat Weihnachten ohne Tannenbaum zu feiern.

Samstag, 3. Dezember 2011

Bittersüß


Ich folge ihr.
Vorbei an Reisfeldern, an Maisfeldern, vorbei an Bananenstauden, an Ölpalmen. Sie läuft schnell. Ich schaue auf den Boden, muss auf Wurzeln und Schlamm achten, sehe kaum, was mich umgibt.
„Snake!“ Sie lässt die Schlange unseren Weg kreuzen. „Was it a dangerous one?“  - „Not too much.”
Vielleicht zwei Kilometer laufen wir hinein in feuchtwarmes Pflanzendickicht. Bis wir ankommen.



Es waren Spanier und Portugiesen, die die Kakaopflanze aus Südamerika kommend nach Westafrika brachten. In Ghana wurde Kakao erstmals 1879 kultiviert. Bereits 1911 dominierte Ghana mit 40% Anteil am weltweiten Kakao-Export den Weltmarkt.

Zu zehnt sitzen wir um einen tischhohen Haufen reifer Kakaofrüchte. Die tiefgelben, bisweilen von braunen Flecken gesäumten Kakaoschoten haben die Form von Rugby-Bällen. Sie wurden schon vor zwei Tagen geerntet, um in dieser Zeit bereits Wärme entwickeln und mit der Gärung beginnen zu können. Unerschrockene, kraftvolle Hiebe mit dem Cutlass, einer Machete, brechen die wassermelonendicke Schale, die die an einer Rispe vereinten Kakaobohnen offenbart. Milchweiß sind sie, unter der weißen Decke violett. So groß und so geformt wie platt gedrückte Eicheln im Herbst. Glitschig vom frischen Fruchtfleisch, als hätte jemand Spülmittel über sie geschüttet. Sie schmecken sauer, sauersüß, fruchtsüß. Bitter, wenn man sie kaut.



1,5 Millionen Ghanaer leben von der Kakaopflanze. Ein Drittel des landwirtschaftlich nutzbaren Landes wird für deren Anbau genutzt.
Wegen der hohen Krankheitsanfälligkeit der Pflanze wird sie vorwiegend auf familieninternen Kleinfarmen und nur selten in Plantagenwirtschaft gezüchtet. Die Produktion, Qualitätssicherung, Forschung und Schädlingsbekämpfung wird durch die staatliche Behörde Ghana Cocoa Board gesteuert.

Bananenblätter decken die von den Rispen entfernten Bohnen ab. Sie bewahren die Wärme, um den Gärungsprozess zu unterstützen. Eine Woche dauert die Verwandlung von der Raupe zum Schmetterling. Danach sind die Bohnen geschrumpft, rot-orange-braun gefärbt, haben sehr viel Flüssigkeit verloren und an Härte gewonnen. Und sie riechen, wie vergorene Früchte eben riechen: Unangenehm.
Eine Woche lang werden sie getrocknet. Ausgebreitet auf Wellblechen, die einen halben Meter über dem Erdboden lagern, um nicht die Feuchtigkeit des Bodens aufzunehmen, liegen sie in der Sonne wie Touristen am Strand an der Costa Brava. Mehrmals am Tag werden sie gewendet, vereinzelt, aussortiert. Bis sie dunkelbraun und hart sind.
Und Bitter. Bittersüß.



Heute liegt Ghana mit 20% Anteil am Kakao-Welt-Export hinter der Elfenbeinküste. Hauptabnehmer sind die USA und die EU, darunter besonders die Niederlande, England und Deutschland. Exportiert werden dabei hauptsächlich die unverarbeiteten Kakaobohnen, Halbwaren wie Kakaobutter und –pulver oder gar Fertigprodukte wie Schokolade eher selten.
Import und Export bilden in Ghana kein gesundes Gleichgewicht. Exportiert werden vorwiegend Rohstoffe, teuer importiert die daraus gefertigten Waren. Da in Ghana produzierte Schokolade kaum Abnehmer findet, gibt es landesweit nur eine Schokoladenfabrik in der Hafenstadt Tema. Aus den USA, aus den Niederlanden, England und Deutschland wird Schokolade eingekauft. Zu teuer für den Großteil der Bevölkerung.
Dieser kennt nicht den süßen Geschmack der Schokolade. Nur den des Kakaos. Und der ist Bitter. Bittersüß.