„Dabei war mir
nur nicht klar, dass es immer mehr Norden gibt, je südlicher man sich befindet,
dass der Norden somit viel vielfältiger wird und dass man manchmal im Norden
ist, wenn andere einen noch im Süden wähnen.“
Danke Clara!
Nkwanta – Kpassa
Die
Landschaft wird flacher, die Bäume niedriger, das Grün einfarbiger, die Straße
schlechter. Wir fahren in Ghanas Norden. Aus Nkwanta führt uns ein Trotro, das
seinem Aussehen zufolge wohl noch die englischen Kolonialherren chauffiert hat.
Ägäisblau, verbeult, verrostet. Wir sitzen zu viert auf Dreierbänken. Die
Straße ist schon lange nicht mehr asphaltiert, unter dem Sand scheinen steinige
Klüfte hindurch, große Dellen, selten pfützengefüllt.
„No
Road – No Vote!“, erinnern drohende Parolen auf hölzernen Schildern am
Straßenrand an die versäumten Versprechen der derzeitigen Regierungspartei, die
sich im Dezember zur Wahl behaupten muss. Weiter nördlich werden die
Forderungen fordernder: „No Light – No Vote!“ und existenzieller: „No Water –
No Vote!“
Im
Norden Ghanas zeigen sich die Auswirkungen der britischen Kolonialpolitik bis
heute. Durch ihre Abwesenheit. Der Norden war für Europäer uninteressant, bot
schließlich der rohstoffreiche Süden ertragreichere Handelsmöglichkeiten. (Kann
Ausbeutung als Handel bezeichnet werden?) Gold, Kakao, Kautschuk, Kolanüsse,
Elfenbein, gut erreichbar durch die Häfen an Ghanas Südküste. Städte wurden
ausgebaut, Verbindungsstraßen festgelegt, christliche Missionsschulen
gegründet. In den Norden allerdings verirrten sich kaum Europäer. Kaum
Verbesserungen der Infrastruktur. Charmanterweise aber auch kaum westliche
Werte…
Kpassa – Damanko
Es
geht noch älter.
Unser
Gefährt, eine Klapperkiste ohnegleichen, könnte das Highlight einer
Oldtimerausstellung sein. Auf zwei sich gegenüber stehenden Holzbänken schauen
sechs Gesichter in sechs Gesichter. Ihre Nasen bohren sich bei jedem Geruckel
in Arme, Schultern oder Wangen der zwischen den Holzbänken platzierten
Passagiere. Mittels dieser Konstruktion können sechzehn Menschen samt Gepäck in
viereinhalb Kubikmeter geschachtelt werden. Cool, wollte ich schon immer mal
wissen, werde nun wohl Logistik studieren können. Den Gedanken scheinen wohl
auch meine Sardinenbüchsengenossen zu haben, die mittlerweile belustigt darüber
spekulieren, wie man die kuschelige Wohnzimmeratmosphäre steigern und noch mehr
Mitfahrer hineinstapeln könnte. Beine abschneiden, rät meine Quetschnachbarin.
Mit
etwas weniger als 50 km/h und etwas mehr als 50 s/m (Schlaglöcher pro Minute)
holpern wir voran. Ebenso oft knallt mein Kopf gegen die niedrige Decke. Auch
mein üppiges – und selbstverständlicherweise ausschließlich für diesen Zweck
angefressenes – Arschfett kann nicht als funktionstüchtiger Stoßdämpfer
fungieren. Rums!
Damanko – Bimbila
Es
geht noch enger.
Diesmal
quetschen sich sechzehn Insassen in einen vom TÜV ausrangierten Opel. Wetten
dass? Drei Leute auf dem Sitz neben dem Fahrer, fünf auf der Sitzreihe
dahinter, vier auf einer weiteren Sitzreihe im ehemaligen Kofferraum. Und die restlichen
drei? Fahren auf dem Dach mit.
Ein
paar Mal halten wir an, weil der Fahrer im Feld nach seinen gestern dort
vergessenen Schuhen suchen will oder weil das Auto einer Reparatur bedarf. In
jedem Fahrer steckt ein Mechaniker!
Bimbila – Yendi
Es
geht noch sandiger.
Ich
sitze auf einer Holzbank auf einem fünf Meter langen, planenlosen
Lastkraftwagen. Schon seit einer Stunde wird in der noch kühlen und
menschenfreundlichen Morgenluft aufgeladen und bepackt. Sichtlich schwere, mit
Cassavamehl gefüllte Säcke, pralle Taschen, Rucksäcke und Bastkörbe. Lautstarke
Diskussionen in der schönen Sprache Dagbani. Über herum fallende Körbe und zu
wenig Platz. Wahrscheinlich.
Ein
Dutzend Männer klettert auf die metallenen Pfeiler, über die bei anderen
Transporten die Planen gespannt werden. Heute gehöre ich zur Ware. Die Fahrt
geht los.
Die
Fahrt durch den roten Staub. Kommt uns Gegenverkehr entgegen, wird er von einer
hinter ihm gezogenen Staubwolke verschluckt. Wie auch wir, wenige Sekunden
später. Der Sand knirscht zwischen meinen Zähnen und ich meine, ihn auch bei
jedem Augenaufschlag knirschen zu hören. Mal wieder beneide ich die
Ghanaerinnen um ihre schönen langen, geschwungenen Wimpern, die den Sand rot
auf schwarz abfangen. Ob Wimpernverlängerungs-Mascara zum Schutz der Augen in
sandigen Regionen erfunden wurde?
Meine
Armhärchen schimmern dunkelorange. Ich male Bilder in den Staub auf meiner
Haut. Ein Albatross und ein Stier. Kilometer um Kilometer zieht Savannenland
vorbei, ohne aufzuhören oder sich zu verändern. Flach und weit. Quietschend
grünes Gras, so grün wie die jungen Birkenblätter Anfang Mai. Im getönten Gras
Bäume mit knorrigen, dunkelschwarzen, beinahe verkohlten Stämmen; ulkige,
halbhohe Pflanzen mit kinderhandflächengroßen, herzförmigen Blättern; Mangobäume,
so perfekt gewachsen, als hätten die Gärtner der Parkanlage von Schloss
Sanssouci Hand angelegt.
Vom
grünen Gras mittlerweile normal genährte Kühe werden von sechsjährigen Kindern
zusammen getrieben. Drei Ziegen stehen auf einem umgelegten Baumstamm – auf der
Rückfahrt fünf Stunden später werden sie da noch immer stehen. Ein schöner
Vogel, rötlich-braun mit blau-grauen Flügeln, fliegt ein Stück mit uns um die
Wette, bis er sich darauf besinnt, mit dem Strohhalm im Schnabel sein Nest
weiterzubauen. Eine dreckige, graue Sau samt Ferkelschar, schwarz und
ockerfarben und dreckgrau. Schafe heben und senken ihre Köpfe im Takt ihrer
Schritte, die braunen Zotteln schlackern um den Kopf, dort, wo die Ohren sein
müssen – es sind die Ohren!
Ab
und an wechselt die Besatzung unserer Menschen- und Frachtfuhre. Eine dicke
Frau hat es sich auf den Säcken im Liegen bequem gemacht. Frauen und Kinder
verkaufen Wasser in Tüten, Mangos, Sojaspieße, Perlhuhn, Grillkäse. Käse! Käse
in Ghana! Das hat Nordghana dem Süden voraus!