Samstag, 28. Januar 2012

Essen wo der Pfeffer wächst

Come in and iss auf

Wer glaubt, im äquatorialen Ghana seien heiße Sonnenstrahlen für Schweißperlen auf der Stirn verantwortlich, der kennt die zehn verschiedenen Pfeffersorten des Landes nicht, die sich geschmeckt kochtopfweise in jedem Essen verstecken.
Jedoch verdirbt viel Pfeffer nicht gleich den Brei. Denn wenn sich Zunge, Magen und Darm erst einmal an die Extraportion Schärfe gewöhnt haben, kann man gar nicht mehr die Finger davon lassen.
Das geht auch gar nicht. In Ghana wird nämlich mit den Händen gegessen. Mit den rechten jedenfalls. Die linke Hand hat bei Tisch nichts zu suchen, weil – theoretisch – ganz andere Geschäfte mit links erledigt werden. Wenn die wüssten…
Die Hand ist es auch, die zufällig Dazustoßende mit einer winkenden Bewegung zum spontanen Mitessen einlädt. „Wa bu le“, sagen die Menschen in meinem Dorf, stellen einen Hocker bereit und halten mir ihre Schüssel entgegen. Come and eat. You are invited.

Orangen und Bananen in Grün

Als ich in Ghana zum ersten Mal in ein Stück Papaya biss, fühlte ich mich wie damals mit sechseinhalb, als ich erfuhr, dass es keinen Weihnachtsmann gibt. Verarscht.
All die „exotischen“ Früchte, die ich in Deutschland so gern aß, sind eine Lüge gegen die wahren Geschmackswunder von Ananas, Melone & Co.
Noch dazu sehen sie anders aus: Das gelbe Fruchtfleisch und die grüne Schale lassen fragen, wie die Orange zu ihrem Namen kam. Selbst grüne Bananen gibt es. Das sind dann allerdings Plantain – Kochbananen – die gekocht wie Kartoffeln und frittiert wie Kartoffelpuffer schmecken.

Reife Kochbananen auf dem Markt


Eine Pampe namens Fufu

Ich halte nicht viel davon, jedem Land sein Nationalgericht zuzuschreiben. Da allerdings fast jeder Straßen-Small-Talk neben dem obligatorischen und augenzwinkernden Heiratsantrag die Frage enthält, ob ich Fufu möge, glaube ich, dass schon ein gewisser Stolz mit dem wohl typischsten ghanaischen Essen verbunden ist.

Justice und seine Mutter beim Fufustampfen


Und in der Tat ist Fufu mehr als des Ghanaers Sauerkraut, das Gerüchten zufolge in den meisten deutschen Küchen brodelt. Oft genug ist das markante, rhythmische Pochen zu hören, das erklingt, wenn lange hölzerne Mörser gekochte Maniokwurzeln und Kochbananen zu Brei stampfen. Pampe, Paste, Kloß – die Konsistenz von Fufu ist so schwer zu beschreiben wie sein Geschmack. Der im Übrigen erst dann zur Geltung kommt, wenn Fufu mit einer der vielen leckeren Soßen und Suppen gegessen wird.
Palmkernsuppe zum Beispiel. Ihre charakteristische Orangefärbung geben ihr die feuerroten Palmfrüchte, die gekocht, gestampft und erneut gekocht werden. Fufubereit ist die Palmkernsuppe allerdings erst, wenn Gemüse wie Tomaten und Zwiebeln und natürlich reichlich Pfeffer darin schwimmen. An besonderen Tagen gern auch Fisch oder Fleisch.

Zeige- und Mittelfinger schneiden wie eine Schere mundgerechte Stücke aus dem Fufukloß und tauchen ihn in die Palmkernsuppe


Auch wenn Ghanaer während des Essens selten trinken, davor und danach besteht überall die Möglichkeit, die beim schärfebedingten Schwitzen zwangsläufig entfleuchende Flüssigkeit nachzufüllen. In Form von purem, in Plastikbeuteln hygienisch abgepacktem Wasser. Oder in einem der zahlreichen Drinking Spots, den gemütlichen holzverkleideten und fröhlich bunt gestrichenen Bars, die neben den sechs in Ghana gebrauten Bieren auch Akpeteshie – Zuckerrohrschnaps – und Palmwein anbieten.

Street food to go

Wenn Kaffee und Bockwurst „zum Mitnehmen“ verkauft werden, dann sind sie „to go“. Wie heißt es aber, wenn das Essen bereits vor dem Kauf durch die Straßen läuft? Street food.
Mit einer beneidenswerten Grazie balancieren die Verkäuferinnen ihre Waren in Blechschüsseln, so groß wie Autoreifen, auf ihren Köpfen. Gurken und Karotten, Brot und Backwaren. Eine Frau bietet frittierte Yamswurzeln an – Pommes auf ghanaisch. Eine andere schält hart gekochte Eier, spaltet sie mit dem Messer und streicht eine feurige Zwiebel-Chili-Paste darauf. Auf ihrer mobilen Küchentheke auf dem Kopf hat sie alles dabei. In der Schüssel eines Mannes liegen ovale, grüne Kokosnüsse. Mit kräftigen, geübten Machetenhieben schlägt er ein Loch in die Nuss und fertig ist der Kokosdrink im Naturglas. Anschließend kann das glibberige weiße Fruchtfleisch mit einem Stück Kokosschale herausgeschabt werden. Derweil lässt ein längst bekanntes Hupen schon das Wasser im Mund anstauen: Fahrradfahrer verkaufen Eis aus der am Lenker angebrachten Kühlbox. Vanille, Schoko, Erdbeer, Mango. Dazu gibt es Meat pie – in Blätterteig gebackene Zwiebelfleischpastete. Erschreckende Kombination. Die wider Erwarten verblüffend gut schmeckt.
Essen auf Köpfen, Eis auf Rädern – in Ghana wird gegessen, was einem vor die Nase läuft. Food to go eben.

Alltagsszene: Der Kopf als dritte Hand

Montag, 23. Januar 2012

Freundschaft ist


Freundschaft ist ein ganz warmes Gefühl von Geborgenheit und tiefem Vertrauen, ist, zu sagen „Bis nächste Woche“ und zu wissen, dass es stimmt.

Freundschaft ist eine gemeinsame Kindheit, halbes Leid, doppelte Freude, ist Fallen und Aufhelfen.

Freundschaft ist eine Grundironie, ein Witz im Überall, ist groß und klein, unterschätzt und überraschend stark, ist inspirierend, grundauf verschieden und tief dankbar.

Freundschaft ist ein gemeinsames Abenteuer, das Vertrauen, da zu sein, zuzuhören, ist aufgehoben, bereichernd und resistent.

Freundschaft ist die Erkenntnis, dass Nähe manchmal zu spät zugelassen wird, dass sie festgehalten werden muss, ist intensiv und explosiv, gebaut auf Gegenpolen, abstoßend und anziehend, ist einmalig.

Freundschaft ist manchmal tiefer und länger auf den zweiten Blick, steckt im alltäglichen Detail und schon vergangenen Geheimnissen, ist mal nah, mal fern, immer beständig.

Freundschaft ist körperliche Zuneigung ohne Bedenken, ist emotional und ehrlich, aufrechterhalten durch gegenseitiges Aneinanderdenken.

Freundschaft ist Aktion, spontan und undurchdacht, gelebt durch Adrenalin und Armen im Wind, ist scheue aber ehrlich preisgegebene Gedanken.

Freundschaft ist der Zufall der Geburt, Zusammensein aus Zwang, das zu Nähe aus Zuneigung wird, ist zwei unterschiedliche Leben mit gemeinsamer Geschichte, Verbundenheit auf Ewig, ist Mutmachen, Aufrichtigsein und Tränentrocknen.

Freundschaft ist ein langes Gespräch, eine Wellenlänge, auf der sich zwei Wellenfronten treffen, dominant plus dominant ist nicht immer Zusammenprall, ist Erwachsenwerden.

Freundschaft ist Kindsein, gegenseitiges Bewundern und Voneinanderlernen, ist ein Sonnenschein, ist nicht leise.

Freundschaft ist Familie, über Altersgrenzen hinweg, ist das Greifen nach den Sternen, ist Rastlosigkeit, Verständnis bei sonstiger Verständnislosigkeit.

Freundschaft ist länger als 52 Wochen, ist Halt und Schutz, ein anderes, ein gemeinsames Leben, beständig durch Kompromisse und Einsicht, selten erschwerend, oft erleichternd.


Freundschaft besteht mal aus Worten, mal aus Taten, mal aus Gefühlen, mal aus Gedanken.
Freundschaft wird dann besonders wichtig, wenn man getrennt ist, und bewirkt viel, wenn sie sich zeigt.

Mittwoch, 18. Januar 2012

Danke auf Bunt


Febla lo – Dankeschön – Akpe – Thankyou – Medasie – Merci beaucoup – Nagodie

… für jede Menge (IKEA) Stifte und Tusche, Schere, Leim und Bastelkram, heiß begehrte Radiergummis und Anspitzer, für buntes Papier und Ausmalbilder, für Bücher, Puppen und Springseile, für bald auf dem Programm stehende Spielideen. Für das An-uns-Denken.

Danke ihr Lieben!


Dienstag, 17. Januar 2012

Balantebi Kowa Kafa

Balantebi Kowa Kafa. 
Das heißt „Homecoming of the people of Santrokofi“. 
Das bedeutet eine Vervierfachung der Einwohnerzahl, eine Woche Ausgelassenheit und allzeit Musik aus übergroßen Lautsprechern oder singfreudigen Kehlen. Festivalstimmung im Dezember – Weihnachten mal anders.




Ihr Kinderlein Kommet

Zum Kid’s Corner kommet!
Dort warteten fröhliche Musik, bunte Luftballons und jemand, der sich Father Christmas nennt. An jedes Kind hatte er gedacht und verschenkte bunte Stifte, Haarspangen und Spielzeugautos, neben denen sogar Kekse und Schokolade in den Schatten treten mussten. Am Abend flimmerte ein kleiner Zeichentrickheld namens Kirkikou über die Wand des Kid’s Corners, fasziniert beäugt von vielen kleinen im Gras hockenden Freilichtkinogästen.
Es war eine schöne Weihnachtsfeier.
In den Vortagen waren einige Heinzelmännchen mit Schweißperlen auf der Stirn gesichtet worden, deren Nervosität sich proportional zur Vorfreude der Kinder steigerte. Doch letztendlich haben sich Geschenkepack-Nächte und Spielvorbereitungen gelohnt. Das sagt hoffentlich auch Gregor, der Dritte im Bunde der Kid’s Corner-Freiwilligen, der das ganze Spektakel bei mindestens 35°C unter einem roten Fleecemantel mit Kapuze verbringen musste…



Candle In The Wind

Heiligabend. Mit meiner Kerze in der Hand stand ich in der späten Dämmerung. Aufregung lag in der Luft. Herzlichkeit und Wiedersehensfreude. Wir waren eine große Gemeinschaft. The people of Santrokofi. Alle gehörten dazu. Die Kinder strahlten mit ihren Lichtern in der Hand. Sanko war jünger als sonst, lebendiger, ausgeschlafener. Trommeln und Trompeten erhoben sich, setzten sich in Gang, führten eine im Kerzenschein verschwimmende Masse an. Ein funkelnder Nachtspaziergang.
Bald schreitend, bald tanzend. Mitreißend. Arme um Schultern, Hände in Händen. Kerzenköpfe begegneten sich, um Licht zu teilen. La fa bronje obro! Merry Christmas! 




Zeit, Dass Sich Was Dreht

Abgesehen von dem Lichterumzug, der für mich das Highlight der Weihnachtswoche darstellt, passierte noch einiges mehr auf dem einwöchigen Festival, dessen Motto good health through community participation war. Gesundheit durch Beteiligung der Gemeinde.
So standen neben den obligatorischen Kirchbesuchen auch Tischtennis-, Volleyball- und Fußballturniere auf dem Plan. Drei Tage lang bot eine medizinische Versorgungsstation kostenlose Untersuchungen für jeden an. 
Der Höhepunkt der Festwoche war allerdings der Durbar am 26. Dezember. Bei einem Durbar trifft sich das ganze herausgeputzte und in die besten, glänzendsten und buntesten Kleider gehüllte Dorf auf dem sonst so unscheinbaren, unter Bäumen versteckten Dorfplatz. Für das Homecoming wurde sogar extra ein blau-weißes Celebration Outfit entworfen. Ich bin mir nicht sicher, aber ich glaube, der Hauptinhalt eines Durbars besteht darin, dass der mir so sympathische und bodenständig wirkende Chief, der Dorfsprecher, zu den Dorfbewohnern spricht. Und ganz nebenbei ist so ein Durbar dann gleichzeitig die Gelegenheit, ordentlich zu feiern und Spaß zu haben. 
Auf unserem Weihnachtsdurbar redete allerdings nicht nur der Chief. Es wurden auch Auszeichnungen vergeben. An die besten Schüler jeden Jahrganges, die neben Schulheften und Stiften auch hysterischen Applaus von Ruth und mir bekamen, die wie zwei Super-Mamis bei der Preisverleihung mitfieberten. Einen Award bekamen auch die besten Lehrer, von denen – ganz nebenbei bemerkt – auch einer mit hysterischem Applaus unsererseits bedacht wurde. Und sogar der beste Taxifahrer (Taxis sind, was die Bedeutung der öffentlichen Transportmittel angeht, mit Bussen in Deutschland vergleichbar) wurde für seine vorbildliche und ruhige Fahrweise ausgezeichnet.
Wichtiger weil nachhaltiger als die Worte des Chiefs und die Auszeichnungen war jedoch eine Spendenaktion, bei der stolze 8.000 Euro zusammengekommen sind, die zum Aufbau einer Krankenstation im Dorf verwendet werden sollen.