Freitag, 21. Oktober 2011

Wir wachsen!

Das Schöne an Ideen ist, dass man sie verwirklichen kann.

Die Idee von Ruth und mir war es, im Kid’s Corner einen Garten anzulegen. Denn auch wenn die Kleinen wunderschöne Karotten und Paprika von der Tafel abmalen, richtiges Gemüse können sich nur wenige leisten.

Gedacht. Getan.
Mit einer Handvoll Zehnjähriger und mindestens doppelt so viel Motivation stürmten wir eine noch unberührte Wiese neben dem bunten Klettergerüst. Ich staunte nicht schlecht, als die Kleinen begannen, mit Macheten, sogenannten Cutlasses – den Universalwerkzeugen schlechthin, mit denen man Kokosnüsse schälen und Holz sägen kann – auf den Boden einzuschlagen, sodass Grasbüschel und Erdklumpen durch die Luft wirbelten.

Damit unsere Arbeit schon bald Früchte tragen kann, züchteten Ruth und ich auf unserem Terrassengeländer die ersten Pflänzchen. Erfolgreich aus Deutschland importierte Tomatensamen und beim Frühstück aus einer Honigmelone gefischte Kerne kombiniert mit Regenwalderde und tropischem Klima wachsen schneller als jedes Haarwuchsmittel!

Zum Schutz vor diebischen Ziegen sollte ein Zaun unseren nun umgegrabenen Erdboden zieren – Einsatzgebiet für die großen Kid’s Corner-Jungs. Lange rohrartige Bambushölzer wurden – Cutlass sei Dank – in dünnere Streifen gespalten und an – natürlich mit dem Cutlass gehackte – Pfeiler genagelt.


 
Beet um Beet konnten wir gemeinsam mit den Kindern in den letzten Tagen füllen. Mit Paprika- und Gurkenstecklingen, die uns eine alte Frau aus dem Dorf gesponsert hat. Mit Sonnenblumen-, Tomaten- und Honigmelonenpflänzchen aus dem ehemaligen Terrassengarten. Mit Samen von Salat, Karotten und Radieschen.
Eigentlich finde ich Radieschen ziemlich geschmacksblöd, aber ich erinnere mich noch daran, wie diese witzigen Zeitgenossen ihre ersten Blätter in Mamas Garten aus dem Boden katapultierten. Womöglich existieren Radieschen nur, um ungeduldigen Menschen zeitnahes Gärtnerglück zu schenken.
Et voilà – der Plan ist aufgegangen: Nach dem ersten Wochenende konnten viele stolze Kinderaugen die ersten Blätter dieses für sie noch unbekannten Gemüses zählen.


Da der Kid’s Corner-Garten allen Kindern gehören soll, helfen auch alle Kinder mit. Selbst die Kleinsten. Sie klebten Bilder von Tomate, Gurke & Co auf Schilder, die nun jedem Gartenbesucher zeigen, was in den einzelnen Beeten wächst.


Wir wachsen!
Wir wachsen, wenn eine kleine Zicke mit dem vielsagenden Namen Princess friedlich eine Sonnenblume in die Erde setzt, wenn ein scheinbar durch nichts zu bändigender Hayford behutsam auf Zehenspitzen um die Beete schleicht, wenn eine schüchterne und ernst schauende Esther strahlende Augen bekommt, weil sie das Cucumber-Schild zu den Gurken stecken darf.

Auf eine frohe Ernte!



Montag, 17. Oktober 2011

Durch den Monsun


Gerade liege ich auf dem Bett – mit tropfenden Haaren, glitschignass wie ein Fisch, vollgespritzt mit Schlamm bis zum Bauchnabel – und denke an eine junge Band, die vor Jahren die deutsche Teenagernation spaltete.
Denn gerade musste ich durch den Monsun.

Und ich denke an meinen Geografiehefter der 8. Klasse, in den eine Hand puren pubertären Desinteresses Worte wie Passatzirkulation und Innertropische Konvergenzzone schmierte. Hätte ich gewusst, dass mich dieses Naturgesetz einmal so nass machen würde, ich hätte das Schema mit der großen Sonne, den aufsteigenden Wassertropfen und den fetten Regenwolken nicht nur für die anstehende Klassenarbeit auswendig gelernt.
Denn die Regenzeit ist eine wunderschöne Zeit.

Regenzeit ist, wenn morgens ganze Berge in tiefhängenden Wolken verschwinden.
Regenzeit ist, wenn mittags feuchte, schwüle Luft aufrecht gehende Menschen zu gedrungenen, schwer atmenden Gestalten zusammendrückt. Wenn sich die Hitze, der Dunst und sicherlich auch der literweise rinnende Schweiß in dunklen Himmelvorhängen sammelt. Wenn starker, horizontal pustender Wind die heiße Schwüle beiseite schiebt, Ziegen ängstlich zu meckern beginnen und Menschen zu ihren Wäscheleinen sausen, Feuerstellen und trocknende Kakaobohnen mit Wellblech abdecken.
Regenzeit ist, wenn der Sturm die Ruhe vor dem Regen ist. Wenn sanfte Rieselregentropfen ankündigen, was Sekunden später über den Köpfen hereinbricht. Wassermassen, die beinahe erlösend die Luft wieder kühl, rein und frisch machen. Wassermassen, die in Töpfen und Kannen, Eimern und Wannen aufgefangen werden wie Tropfen auf den heißen Stein.
Regenzeit ist, wenn das geschäftige Dorf ruht und wartet und nichts und niemand zu hören ist außer heftig rauschendem Wassergeprassel. Lässt der Regenguss wieder nach, ist noch immer Wasserrauschen zu hören. Zwischen den Häusern rinnen und strömen Bäche und Flüsse den Hang abwärts.
Es wäre nachvollziehbar, sollte ein Mensch bei dem Anblick dieses Monsunregens an die sich entladende Wut irgendeines Gottes glauben.

Während der Monsunregen noch immer ein Vuvzelakonzert auf meinem Wellblechdach dirigiert, versuche ich, jene Theorie aus dem Erdkundeunterricht zu rekonstruieren.

Ghana liegt in der tropischen Klimazone, ein paar Breitengrade nördlich des Äquators.
In den Monaten des Frühlings und des Herbstes steht die Sonne über dem Äquator, wo es über tropischen Regenwäldern ständig regnet. Dieser Regen kommt als Monsunregen besonders in den Monaten September bis Oktober und März bis Mai auch in Ghana an. Außerdem südwestliche Winde mit feuchter Meeresluft, die die Luftfeuchtigkeit auf stolze 90% klettern lassen.
Wandert aber die Sonne in den Wintermonaten zum südlichen Wendekreis, nimmt sie auch das durch sie verdunstende Wasser und die daraus entstehenden Regenwolken mit. In Ghana herrscht dann Trockenzeit. Und Harmattan-Saison. Harmattan bezeichnet die aus der Sahara wehenden Passatstürme, die jährlich mehrere Milliarden Tonnen Staub aus der Wüste Nordafrikas nach Südwesten blasen.
Wie diese Theorie in der Praxis aussieht, weiß ich noch nicht. Die Menschen erzählen von Wasserknappheit, trockener Luft und auf der verschwitzten Haut klebendem Sand.
Ein Grund mehr, die Regenzeit zu genießen.

Es gibt viel Schönes auf der Welt. Bei Monsunregen in einem Holzverschlag zu duschen, gehört dazu.

Donnerstag, 13. Oktober 2011

Momente

Ich komme nach einem Monsunregenguss vom Kid’s Corner nach Hause.
Meine Wäsche, die ich auf der Leine vergessen hatte, wartet trocken auf einem Stuhl unter dem Dach auf mich.

Ho. Die Hauptstadt der Volta Region.
Ich stehe vor einer weißen Wand, lächle in eine Kamera. Wofür ich die Passbilder brauche, fragt der Mann hinter der Kamera.
Für das Immigration Office.
Ein Visum? Für welches Land?
Für Ghana.
Ein erstauntes, stolzes Lächeln.

Gänsehaut beim Abendessen.
Am Nordhimmel tauchen Vögel auf. Eine ganze Vogelschar, gerichtet wie ein schlaffer Pfeil, mit müden Flügelschlägen, schwach und schwankend und doch auf eine schöne Art majestätisch.
Verbundenheit. Hallo Jungs, ihr habt es geschafft, ihr seid in Afrika!

Mittagshitze.
Ich sitze mit einer alten Frau auf einer Holzbank vor ihrem Lehmhaus. Ihr Fuß schmerzt, ist geschwollen, dunkel von gestautem Blut, muss von einem Arzt untersucht werden. Sie legt ihre Hand auf meine Schulter. Ich nehme sie in beide Hände. Wir müssen nicht reden.

Die Kinder haben kleine, wachteleiförmige, wüstengelbe Früchte in der Hand.
Gifty, ein Mädchen in grün-rot-gemustertem Kleid legt mir eine in die Hand, führt eine andere zu ihrem Mund und beginnt, mit ihren kleinen Zähnen die Schale abzuziehen.
Schau, so isst man das!

Ruth und ich kommen zu unserer Stammeisfrau.
Sie schläft wie immer auf einer Bank, wacht auf, lächelt uns an, öffnet die Kühltruhe und holt wortlos zwei Vanilleeis heraus.

Nach einem Tag in Ho komme ich zurück in mein Dorf.
Ich habe gehört, dass es heftigen Monsun gegeben haben soll. Nun stehe ich vor meinem Lieblingsbaum, der wie ein enthaupteter König aus seiner am Boden liegenden Baumkrone herausragt. Entsetzt schaue ich eine Frau an, bewege meinen Arm wie einen Blitz und lasse aus meinem Mund Donner grollen. Sie lacht beruhigend, verwandelt ihre Hand in eine Säge und zeigt auf die nun wieder frei gelegte Stromleitung.

Stromausfall.
Ich sitze vor einem Internetcafé. Unschuldige Straßenwortwechsel.
Ein unabhängiger Filmregisseur erzählt mir von seiner Ausbildung in Accra, seinem Projekt, eine kleine Filmindustrie auch in Landesteilen außerhalb der Hauptstadt wachsen zu lassen.
Er erzählt von Ghana und von seiner Freude, hier zu leben.
Er sagt Ghana ist das Israel Afrikas. Hier hat Gott seinen Handabdruck hinterlassen. Nur ist Ghana friedlicher.

Mittwoch, 5. Oktober 2011

Wie im Streichelzoo


Wer mich vor zehn Jahren fragte, was ich denn mal werden wolle, bekam die für 8-jährige Mädchen wenig originelle Standardantwort zu hören, die sogar noch beliebter als Prinzessin ist. Tierärztin. Doch spätestens mit der Erkenntnis, dass man nicht nur Hunde und Katzen, sondern auch Jungs streicheln kann, ändern jene Mädchen die Opfer ihrer Doktorspielchen.
Schade eigentlich. Denn Santrokofi ist ein riesengroßer Streichelzoo. Bloß ohne Zaun.

Die Ziege
Die frei herum laufenden Ziegen sind die Rasenmäher Santrokofis. Und die Müllmänner. Orangenschalen kann man getrost zu Boden fallen lassen, weil sie gewiss von der nächsten Ziege stibitzt werden. Was ein Vorteil ist. Allerdings riechen die feinen Ziegennäschen auch bereits im Mülleimer vor sich hin vegetierende Bananenschalen und gedenken, auf den Hinterhufen stehend, diesen Festtagsschmaus mit den Vordergliedmaßen herauszufischen, was regelmäßig zum Umkippen von Eimer und Ziege führt und im kompletten Mülldesaster endet. Was ein Nachteil ist. Da aber Ziege im vor ihr ausgebreiteten Mülleimerinhalt noch weitere Delikatessen wittert, ist bald der gesamte Boden sauber geleckt. Was wiederum ein Vorteil ist.

Das Huhn
Das Huhn und seine ständig um es herum wuselnde Kükenschar ist ein Nutznießer der Ziege. Es pickt sich freudig durch deren aufgetischtes Mülleimermenü und führt ein recht friedliches Leben. Wären da nicht die hormongeladenen Hähne, die es unter wenig erotischem Gegacker durch das Dorf jagen, mit dem Schnabel an den Schwanzfedern festhalten und einen Siegesschrei ausstoßend bespringen.

Der Fisch
Auch Fische dürfen in Santrokofi frei umher schwimmen. In Tomatensoße, Yam Soup – der ghanaischen Kartoffelsuppe – und in Erdnusssoße.

Der Frosch
Der Frosch ist Musikant und Kuckuck zugleich. Denn wie ein Kuckuck in seiner Uhr zeigt er mir die Uhrzeit an, wenn er gemeinsam mit seinen unzähligen Artgenossen Punkt 22.30 Uhr einen Kanon der verschiedensten Tonlagen anstimmt. Kaum zu glauben, welch laute Töne ein so kleiner Körper von sich geben kann!

Der Geier
Sie sind groß, kreisen ununterbrochen am Himmel und sehen aus wie im Dschungelbuch.
Nie werde ich vergessen, wie ich am Markttag an einem Fleischstand vorüber ging. Links die rohen, sehnigen, auf blutigem, fettig glänzendem Holz zum Kauf bereit liegenden Fleischbatzen. Rechts, keine vier Meter entfernt, zwei beinahe von diesem Anblick hypnotisierte Augen. In einem platten, knochigen, federlosen Kopf – ähnlich einer menschlichen Glatze – mit dunklem, gebogenem Schnabel. Dort, wo der magere, kahle Hals in den schwarz gefiederten Körper übergeht, thront ein grauer Federkranz. Zerrupft und heruntergekommen sehen diese Vögel aus. Und gerade deshalb so angsteinflößend.

Der Leguan
Der Leguan ist ein ausgesprochen cooles Tier.
Wenn er an einer sonnenbestrahlten Hauswand hängt, als gäbe es keine Schwerkraft, dann fehlt ihm nur noch die Sonnenbrille zum Sunny Boy. Für dieses Aussehen scheint er auch hart zu trainieren, wenn er den Oberkörper ähnlich meiner Morgenliegestütze auf und nieder drückt. Sollte dieses Muskelaufbauprogramm nichts nützen, dann muss der gelbköpfige, blaukörperige, grünbeinige Leguanmann eben durch seine Farbenpracht bei den grauen Frauen punkten.

Das Glühwürmchen
Cooler als der Leguan ist nur noch das Glühwürmchen – das humorvollste Tier überhaupt. Schließlich kann es von sich behaupten: „Eyh, mein Hintern leuchtet!“

In Ghana habe ich noch kein 8-jähriges Mädchen kennen gelernt, das rosarote Tierärztinnenseifenblasenträume träumt. Vielleicht liegt es daran, dass Tiere in Ghana als reine Nutztiere gehalten werden. Ohne Leine und ohne Stalltür.