Samstag, 12. November 2011

Ein Plädoyer für Kaltduscher


Noch vor einem Jahr hätte ich stolzen Advokaten der Kaltduscherei ob der in diesen Monaten üblicherweise sukzessive und erbarmungslos gen Gefrierpunkt segelnden Temperaturen wahlweise Eier und Tomaten oder in Ermangelung dieser wenigstens wüste Worte der Verständnislosigkeit an den Kopf geworfen. Nicht so heute.
Denn heute spende ich Max Goldt brausenden Applaus, wenn er sagt:

„Hart und eisig muss der Strahl auf ein starkes und stürmisches Herz prallen.
Mit warmem Wasser duscht man viel zu lange, wodurch die Haut runzelig wird. Und in den Runzeln machen es sich Pilze aller Rassen und Klassen gemütlich und nötigen einen, sich mit nach Harnstoff riechenden Breitbandfungiziden einzucremen.“

Meine Dusche kennt keinen Warmwasserhahn. Meine Dusche besteht manchmal aus einer zwei Köpfe über mir angebrachten Brause, manchmal aus einem Eimer Wasser. Kaltem Wasser natürlich. Gute Tage beginnen mit kaltem Wasser.

Wenn ich morgens aufwache, den dünnen Baumwollschlafsack, ohne den ich in der Nacht gefroren hätte, abgestrampelt, das schweißfeuchte Shirt am Körper klebend, dann empfinde ich warmes Wasser als eines der überflüssigsten Dinge dieser Welt.

Stattdessen schnappe ich mir Handtuch und Seife und mache mich auf den Weg zum kalten Flüssiggold.
Vorbei an Opi, meinem schätzungsweise hundertjährigen fast blinden Nachbar, der auf meinen Morgengruß erst reagiert, wenn ich bereits fünfzig Meter weiter über Stock, Stein und Küken gehüpft bin.
Vorbei an der Steinomi, die keinen anderen Gesichtsausdruck als das Lächeln zu kennen scheint, wenn sie es sich auf ihrem Sitzstein bequem gemacht hat und seelenruhig im vor ihr stehenden Topf rührt.
Vorbei an so vielen Dorfbewohnern, die alle, egal wie früh ich auch aufstehe, schon viel länger wach zu sein scheinen als ich.

Und dann stehe ich in einem Holzverschlag, lasse kalte Wassertropfen auf mich rieseln und denke wieder an Max Goldt:

„In neutralem Licht betrachtet, dürfte das Erwärmen von Wasser zur Reinigung des menschlichen Körpers eine der größten Idiotien der Menschheit sein. Ich habe keine Ahnung von Energiewirtschaft, aber ich möchte doch anregen, den hübschen Satz „Ohne die Warmduscherei wären Atomkraftwerke unnötig“ erst einmal auf seine Volumenprozente an Wahrheit hin zu untersuchen, bevor man sich wegen seiner vermeintlichen Lustigkeit auf dem Laminat rollt.“


Aus: „Ein gutes und ein schlechtes Wort für Männer“, Max Goldt

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