Mittwoch, 7. Dezember 2011

Traditionsbewusst

Tradition war für mich immer eines dieser graubärtigen Worte, die ich mit Trachtenschauen und Volksmusik verband und die von trachtentragenden, volksmusikhörenden CSU-Wählern hoch gelobt werden. Tradition als Synonym für dicke Staubschichten.

Alle Jahre wieder wünscht mir John Lennon beim Plätzchenbacken Happy Christmas, wärmt Glühwein meine erfrorenen Hände auf dem Weihnachtsmarkt, klingt das Orgelspiel des Kantors bei „Oh du Fröhliche“ wie Sternenflimmern.
Alle Jahre wieder. Nur dieses nicht.
Am Nikolausabend standen statt blank geputzter Stiefel provisorisch abgeschrubbte Flip-Flops vor meiner Tür, Nelson Mandelas gesammelte Lieblingsgeschichten aus Afrika ersetzen Grimms Hausmärchen, Bananenblätter und Palmwedel verwandeln sich in Tannen- und Mistelzweige.
Weil bald Weihnachten ist. Und weil Nikolausstiefel, Märchen und Tannenzweige zu Weihnachten gehören. Weil es doch immer so war und auch dieses Jahr so sein muss. Und plötzlich wird dieses eingestaubte Wort Tradition zu etwas Warmem, das sich wie Zuhause anfühlt.
Heimat dank Erinnerungen an alle Jahre wieder.

Tradition wirkt durch Erinnerung. Durch Wiederholung. Alle Jahre wieder.
Und weil jeder Erinnerungen anders empfindet, kann es auch nicht die eine, die richtige Tradition geben. Meine ghanaischen Kinder würden es nicht verstehen, schmückte ich das Kid’s Corner mit grünen Zweigen und Schneemännern, sie würden mich für verrückt erklären, gäbe ich ihnen heißen Kakao zu trinken.
Das tue ich auch nicht. Ich lasse sie Weihnachten feiern, wie sie es kennen. So wie sie mich Kerzen anzünden und „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“ schauen lassen.
Anpassung verstanden als Akzeptanz der Andersartigkeit anstatt als Zwang zur Adaption.
Traditionsbewusstsein, um sich der Wirkung der Tradition bewusst zu sein. Für sich selbst und für andere. Um verstehen zu können, weshalb andere Menschen ihre eigenen Traditionen pflegen.

Wer sich traditionsbewusst nennt, wer seine eigene Tradition durch andere bedroht sieht, wer den Teufel samt Kopftuch an die schwarz-rot-goldene Wand malt, wer Andere zur Aufgabe ihrer Traditionen zwingen will, der soll bitte versuchen, fernab der Heimat Weihnachten ohne Tannenbaum zu feiern.

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