Freitag, 9. März 2012

Auf die Gesundheit!


 Eins vorweg:   Menschen, deren Ekelgrenze sich asymptotisch an den Anblick eines in einem Obstkorb vor sich hin vegetierenden braun beschlagenen und mit flockigen weißen Pusteln besprenkelten Apfels annähert, rate ich, ab hier nicht weiter zu lesen  beziehungsweise Arzt oder Apotheker nach risiken- und nebenwirkungslosen Packungsbeilagen zu befragen.
Denn ich möchte mich dem Thema Gesundheit genau so widmen, wie ich es von den meisten Ghanaern erlebt habe: Indiskret, schamlos und frei von der Leber weg!

An der Wohnzimmerwand meiner Oma thronen viele mehr oder weniger schön verzierte Schildchen mit gut gemeinten Schlaumeiersprüchen. „Alle Wünsche werden klein gegen den gesund zu sein“, las ich immer und immer wieder, während ich mir Spaghetti mit Omas unverwechselbarer Tomatensauce in den Schlund stopfte. Aha. Schön. Dachte ich mir. Mein größter Wunsch blieb dennoch die ultracoole Maltafel von Fisher Price.
Nachdem irgendwann der Weihnachtsmann – An dieser Stelle liebe Grüße in die Nachbarschaft! – einer überglücklichen Melanie ihre heiß ersehnte Maltafel in die Hand gedrückt hatte, wirkte der Omaspruch lächerlich. Schließlich konnte ich auch noch trotz Erkältung mit Hustenbonbons im Mund Kaninchen und Sonnen auf meiner Maltafel kreieren.

Alle Wünsche werden klein gegen den gesund zu sein, denke ich mir, während ich drei Uhr morgens zum bestimmt zehnten Mal in dieser Nacht grünlich-gelbe Flüssigkeit der Konsistenz von warmem Kakao in die Kloschüssel spritzen lasse. Wenige Klogänge, besser gesagt Klosprints, zuvor wurde eben jene Kloschüssel noch mit substanzreicheren Säften besudelt. Wie ein Maschinengewehr knatternd schießt all das gen Abfluss, was ich vorher mühevoll und appetitlos heruntergeschluckt hatte. In genau der brennenden Schärfe, die erst an Fingern, Lippen, Zunge und dann an jeder einzelnen Darmwindung feuerte. In diesem Moment hasse ich die Erfinder der Redewendung „jemandem Feuer unterm Hintern machen“.
Ich frage mich ernsthaft, aus welchen unbekannten Winkeln meines Körpers diese Brühe kommt, die so schmerzhaft aus mir herausbrodelt. Schließlich fühle ich mich schon restlos leer gepumpt. Schwach und ausgelaugt und viel zu wackelig auf den Beinen, um die hundert Meter durchs Dorf zurück in mein Bett umfallfrei zu überstehen.
In dieser Nacht kommen noch einige Klovisiten hinzu, in denen sich lediglich die Farbgebung hin zu weißlich-grün, nicht aber die Schmerzintensität ändern. Immerhin muss ich meinen Mageninhalt heute nicht via Speiseröhre und Mundhöhle rückwärts ausgeben.

Am nächsten Tag spricht mich meine Gastmutter, deren Mutter neben der Gemeinschaftstoilette wohnt, scheinbar nie schläft und für ihr Alter ein beneidenswert gutes Gehör hat, an: „Are you running?“ Ja, ich habe einen running stomach. Und wie! Das gebe ich aber nur widerwillig zu. Nicht, weil es mir peinlich ist – dafür spricht die Existenz dieses Artikels –, sondern weil ich weiß, was gleich kommt.
Wenige Minuten später steht sie wieder vor meiner Tür. Das Päckchen mit Tabletten, Pillen und Kapseln in ihrer Hand sieht aus wie ein buntes Osternest. Morgens, mittags und abends soll ich zwei von den gelb-roten, vier von den blauen und ein, zwei oder drei von den weißen nehmen. Oder so ähnlich. Ist ja auch egal. Hauptsache alle werden irgendwann geschluckt.
Ich weigere mich. Über so viel europäische Tablettenangst und Befürchtungen von Nebenwirkungen, die durch die Einnahme eines wahllos zusammen gepflückten Medizinmenüs auftreten könnten, kann meine Gastmutter nur lachen.
Ich kapituliere. Am nächsten Tag geht es mir besser.

In Deutschland hatte ich lieber fünf Stunden lang Kopfschmerzen ertragen, anstatt eine Paracetamoltablette zu schlucken. Hier in Ghana nehme ich mittlerweile schon antibakterielle Wundermittel ein, wenn ich nur glaube, dass mir die eben verzehrten Ziegeninnereien, Hunde- oder Rattenfleischstücken auf den Magen schlagen könnten.
Weil ich lerne, von Fieber und Bauchschmerzen im Superlativ zu sprechen.
Weil mein Körper doch nicht so widerstandsfähig ist, wie ich hoffte.
Weil Kranksein in Ghana eine andere Dimension einnimmt.
Und weil Oma mit ihrem gut gemeinten Schlaumeierspruch an der Wand recht behalten hat. Alle Wünsche werden klein gegen den gesund zu sein. Auch der Wunsch nach der Maltafel von Fisher Price.

                       
                        An alle Ghana-Besucher:
Ich habe gehört, dass die Cholera-Schluckimpfung auch gegen die unschönen Magen-Darm-Krämpfe wappnen soll. Die Richtigkeit kann ich nicht bezeugen. Aber wenn ich mein Leben noch einmal leben könnte, ich würde von Anfang an meine Brillen bei Fielmann kaufen und mich gegen Cholera impfen lassen.


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