Freitag, 30. März 2012

Weiße Fußspuren im Sand

Ein Blick in die Vergangenheit – Teil II

Fußspuren. Sind Spuren. Sind Zeugen. Von Fußtritten.
Fußspuren im Sand. Sind Spuren. Über die kein Gras wachsen Kann. Nicht Darf.

Anomabo. Die Sklavenburg Fort William.
Ich weiß, dass ich zu spät bin, es dämmert ja bereits. Neugierig schleiche ich dennoch durch das Tor in den Hof. Von oben heißt mich eine sympathische Stimme willkommen. Mit Erdbeereis in der Hand kommen der Burgwächter Philipp und seine zwei Kinder Frank und Emmanuela eine Treppe herunter. Ob ich die Burg sehen wolle. Skeptisch schaue ich in den dunkler werdenden Himmel.
Hast du Angst im Dunkeln? Das hatten die Sklaven bestimmt auch. Komm, ich zeig dir, wie sie gelebt haben.

Es waren Portugiesen auf der Suche nach dem Seeweg nach Indien, die 1471 erstmalig an der ghanaischen Küste landeten. Überwältigt von dem Gold, das sie hier erwartete, begann ein reger Tauschhandel mit den Küstenbewohnern. Um ihr Handelsmonopol vor anderen europäischen Seefahrernationen zu manifestieren, erbauten die Portugiesen in Elmina, „der (Gold) Miene“, ihre erste Festung. Der scheinbar friedliche Handel hielt an.
Bis zu Christopher Kolumbus.


Die São Jago da Mina in Elmina – die erste Sklavenburg an ghanaischer Küste

Mit der Entdeckung Amerikas und der Erschließung von Tabak-, Zuckerrohr – und Baumwollplantagen erwuchs die Nachfrage nach billigen und zudem robusten Arbeitern. 1505 starteten die ersten Schiffe mit menschlichem Frachtgut nach Mittel- und Südamerika.
Mit dem Sklavenhandel steigerte sich das Interesse anderer europäischer Königreiche an der Küste mit dem vielen Gold. Das holländische Fort Battensteyn in Butre. Das englische Fort William in Anomabo. Die dänische Christiansborg in Accra. Die portugiesische São Jago da Mina in Elmina. Die preußische Groß-Friedrichsburg in Prince’s Town. Es gibt kaum einen Ort der ghanaischen Küste, der nicht von Europäern besetzt wurde.

Philipp und ich stehen in einem Raum, dessen Ausmaße mich an ein kleines Klassenzimmer erinnern. Aus einem fußballgroßen Loch in der Decke fällt das spärliche Hell der Dämmerung. Es kann die vier kargen Steinwände kaum noch erreichen. Ich visiere das Loch an, baue in Gedanken Räuberleitern, Brücken aus Händen und Füßen. Das Loch ist hoch, klar, aber nicht zu hoch.
Versuch es gar nicht erst, errät Philipp meine Gedanken, die Sklaven waren natürlich angekettet.
Um die 200 Menschen, getrennt nach Alter und Geschlecht, wurden in diese Räume verfrachtet. Eng an eng. Mensch an Mensch, ohne noch Mensch zu sein.

Über eine Treppe betreten wir einen anderen Raum. Eine Art Wartezimmer. Hier warteten die jungen Sklavinnen nach ihrem Bad darauf, von Sklavenherren ausgewählt und auf ihre Zimmer genommen zu werden. Die Konkubinen. Die Spielzeuge europäischer Handelsmänner. Unter allen Sklaven waren sie die einzigen, die die Sammelkerker verlassen und sich waschen durften. Ein bisschen Freiheit für ganz viel Erniedrigung.
Ob sie es besser hatten als die anderen?

Philipp führt mich zu einem großen, überdachten Areal. Er springt von dem Steinpodest, auf dem ich noch stehen bleibe.
Von hier unten kann ich dich gut sehen, weißt du, worauf du gerade stehst? Direkt hinter dir stand eine Waage, direkt neben dir ein Handelsmann.

Sklavenburgen waren Marktplätze. Menschen wurden gewogen wie Reissäcke. Je schwerer, desto teurer. Tausche vier Kisten Glasperlen, Waffen und Schnaps gegen eine Kiste Elfenbein, Kautschuk und einen Sklaven. Makabere Shoppingtour.

Ich folge Philipps Schritten. Sehen kann ich nichts mehr, es ist bereits richtig dunkel. Schwalben auf Winterurlaub fliegen mir um die Ohren. Philipp bleibt stehen und klopft an eine Holztür. The Gate of no Return. Das Tor ohne Wiederkehr.
Möchtest du, dass ich es öffne?
Gänsehaut.

Platzsparend gelagert wie Weinfässer wurden Sklaven in Schiffe gequetscht. Drei, vier Monate, ein halbes Jahr lang, bis sie ankamen, wo sie kein besseres Leben erwartete. Auf den Plantagen in den Südstaaten der USA, in Brasilien und Peru. Auf Kuba und Jamaika. Die Liste ist lang.
Geschätzt 12 Millionen Afrikaner erreichten das Ziel der langen Seereise lebend.
12 Millionen von insgesamt wohl 60 Millionen. Einer für fünf. Fünf für einen.
Die anderen starben. Weil sie sich gegen die europäischen Diebe gewehrt hatten. An Unterernährung und Krankheiten in den Sklavenburgen. Krank, aber noch lebendig von Bord der Sklavenschiffe geworfen, um nicht die restliche Ware anzustecken.
60 Millionen Menschen, die dem afrikanischen Kontinent gestohlen wurden. Familienväter, intellektuelle Wortführer, Feldbesteller, Entscheidungsträger, Bauarbeiter. Wie hätte das für Jahrhunderte geschwächte Afrika mit Europa und der westlichen Welt mithalten können, deren industrialisierte Wirtschaft dank der afrikanischen Roh- und Lebendstoffe in frühkapitalistischen Höhenflügen schwebte?

Fort Prindsensten in Keta – Zur Verteidigung der dänischen Einflusssphäre


Wir stehen im Tor. Im Tor ohne Wiederkehr.
Lange, hölzerne Fischerpirogen liegen im Sand. Die an kleinen Masten befestigten Wimpel flattern bunt im Wind, der die Wellen gleichmäßig an die schönen, hohen Bilderbuchpalmen rauschen lässt. Der Mond steht zwischen Halb und Voll am Himmel.
Romantisch, irgendwie, denke ich mir und schlage mir dafür gedanklich mit der flachen Hand gegen die Stirn.
Philipp, du weißt so viel über das, was geschehen ist. Kannst du es immer vergessen, wenn du mit Europäern wie mir sprichst?
Ich könnte dich hassen wegen einer Katastrophe, die du nicht verbrochen hast. Oder ich kann die Vergangenheit akzeptieren und dir dabei helfen, diese zu verstehen, in der Hoffnung, dass die gegenseitige Verständigung soweit reicht, dass Afrika eines Tages nicht mehr von der westlichen Welt bevormundet wird. Mir erscheint die zweite Variante logischer.
Und schau mal, so grausam diese Verbrechen waren, sie haben dazu geführt, dass in vielen Teilen der Welt Menschen unterschiedlicher Herkunft zusammenleben und sich gegenseitig bereichern. Es ist zynisch, aber wahr: Dem Sklavenhandel haben wir den Jazz zu verdanken. Und hätte es Bob Marley gegeben, wären nicht seine Vorfahren nach Jamaika verschifft worden?

2 Kommentare:

  1. Nico Marsupilami15. Juni 2012 um 14:15

    Tolle Seite, tolles Projekt und dieser Eintrag gefällt mir wirklich sehr!
    Und nein, Bob Marley hätte es nicht gegeben..das kommt sogar ganz am Anfang des aktuellen Bob Marley Kinofilms 'Marley' vor! Genau diese Sklavenburg, wenn ich mir recht erinnere!
    Tolle Sachen die du entdeckst, ich muss sagen, ich bin neidisch ;)
    Have fun and greetz from Germany
    Nico (Tabeas Freund ;))

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  2. Nur kein Neid, du hast Milch und Joghurt ;)
    Aber das Kompliment nehme ich gern an!
    Liebe Gruesse zurueck, auch an das Sonnenkind :)

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