Montag, 14. Mai 2012

Sandige Augen, salzige Haut


„Dabei war mir nur nicht klar, dass es immer mehr Norden gibt, je südlicher man sich befindet, dass der Norden somit viel vielfältiger wird und dass man manchmal im Norden ist, wenn andere einen noch im Süden wähnen.“
Danke Clara!

Nkwanta – Kpassa

Die Landschaft wird flacher, die Bäume niedriger, das Grün einfarbiger, die Straße schlechter. Wir fahren in Ghanas Norden. Aus Nkwanta führt uns ein Trotro, das seinem Aussehen zufolge wohl noch die englischen Kolonialherren chauffiert hat. Ägäisblau, verbeult, verrostet. Wir sitzen zu viert auf Dreierbänken. Die Straße ist schon lange nicht mehr asphaltiert, unter dem Sand scheinen steinige Klüfte hindurch, große Dellen, selten pfützengefüllt.
„No Road – No Vote!“, erinnern drohende Parolen auf hölzernen Schildern am Straßenrand an die versäumten Versprechen der derzeitigen Regierungspartei, die sich im Dezember zur Wahl behaupten muss. Weiter nördlich werden die Forderungen fordernder: „No Light – No Vote!“ und existenzieller: „No Water – No Vote!“
Im Norden Ghanas zeigen sich die Auswirkungen der britischen Kolonialpolitik bis heute. Durch ihre Abwesenheit. Der Norden war für Europäer uninteressant, bot schließlich der rohstoffreiche Süden ertragreichere Handelsmöglichkeiten. (Kann Ausbeutung als Handel bezeichnet werden?) Gold, Kakao, Kautschuk, Kolanüsse, Elfenbein, gut erreichbar durch die Häfen an Ghanas Südküste. Städte wurden ausgebaut, Verbindungsstraßen festgelegt, christliche Missionsschulen gegründet. In den Norden allerdings verirrten sich kaum Europäer. Kaum Verbesserungen der Infrastruktur. Charmanterweise aber auch kaum westliche Werte…

Kpassa – Damanko

Es geht noch älter.
Unser Gefährt, eine Klapperkiste ohnegleichen, könnte das Highlight einer Oldtimerausstellung sein. Auf zwei sich gegenüber stehenden Holzbänken schauen sechs Gesichter in sechs Gesichter. Ihre Nasen bohren sich bei jedem Geruckel in Arme, Schultern oder Wangen der zwischen den Holzbänken platzierten Passagiere. Mittels dieser Konstruktion können sechzehn Menschen samt Gepäck in viereinhalb Kubikmeter geschachtelt werden. Cool, wollte ich schon immer mal wissen, werde nun wohl Logistik studieren können. Den Gedanken scheinen wohl auch meine Sardinenbüchsengenossen zu haben, die mittlerweile belustigt darüber spekulieren, wie man die kuschelige Wohnzimmeratmosphäre steigern und noch mehr Mitfahrer hineinstapeln könnte. Beine abschneiden, rät meine Quetschnachbarin.
Mit etwas weniger als 50 km/h und etwas mehr als 50 s/m (Schlaglöcher pro Minute) holpern wir voran. Ebenso oft knallt mein Kopf gegen die niedrige Decke. Auch mein üppiges – und selbstverständlicherweise ausschließlich für diesen Zweck angefressenes – Arschfett kann nicht als funktionstüchtiger Stoßdämpfer fungieren. Rums!



Damanko – Bimbila

Es geht noch enger.
Diesmal quetschen sich sechzehn Insassen in einen vom TÜV ausrangierten Opel. Wetten dass? Drei Leute auf dem Sitz neben dem Fahrer, fünf auf der Sitzreihe dahinter, vier auf einer weiteren Sitzreihe im ehemaligen Kofferraum. Und die restlichen drei? Fahren auf dem Dach mit.
Ein paar Mal halten wir an, weil der Fahrer im Feld nach seinen gestern dort vergessenen Schuhen suchen will oder weil das Auto einer Reparatur bedarf. In jedem Fahrer steckt ein Mechaniker!

Bimbila – Yendi

Es geht noch sandiger.
Ich sitze auf einer Holzbank auf einem fünf Meter langen, planenlosen Lastkraftwagen. Schon seit einer Stunde wird in der noch kühlen und menschenfreundlichen Morgenluft aufgeladen und bepackt. Sichtlich schwere, mit Cassavamehl gefüllte Säcke, pralle Taschen, Rucksäcke und Bastkörbe. Lautstarke Diskussionen in der schönen Sprache Dagbani. Über herum fallende Körbe und zu wenig Platz. Wahrscheinlich.
Ein Dutzend Männer klettert auf die metallenen Pfeiler, über die bei anderen Transporten die Planen gespannt werden. Heute gehöre ich zur Ware. Die Fahrt geht los.
Die Fahrt durch den roten Staub. Kommt uns Gegenverkehr entgegen, wird er von einer hinter ihm gezogenen Staubwolke verschluckt. Wie auch wir, wenige Sekunden später. Der Sand knirscht zwischen meinen Zähnen und ich meine, ihn auch bei jedem Augenaufschlag knirschen zu hören. Mal wieder beneide ich die Ghanaerinnen um ihre schönen langen, geschwungenen Wimpern, die den Sand rot auf schwarz abfangen. Ob Wimpernverlängerungs-Mascara zum Schutz der Augen in sandigen Regionen erfunden wurde?
Meine Armhärchen schimmern dunkelorange. Ich male Bilder in den Staub auf meiner Haut. Ein Albatross und ein Stier. Kilometer um Kilometer zieht Savannenland vorbei, ohne aufzuhören oder sich zu verändern. Flach und weit. Quietschend grünes Gras, so grün wie die jungen Birkenblätter Anfang Mai. Im getönten Gras Bäume mit knorrigen, dunkelschwarzen, beinahe verkohlten Stämmen; ulkige, halbhohe Pflanzen mit kinderhandflächengroßen, herzförmigen Blättern; Mangobäume, so perfekt gewachsen, als hätten die Gärtner der Parkanlage von Schloss Sanssouci Hand angelegt.
Vom grünen Gras mittlerweile normal genährte Kühe werden von sechsjährigen Kindern zusammen getrieben. Drei Ziegen stehen auf einem umgelegten Baumstamm – auf der Rückfahrt fünf Stunden später werden sie da noch immer stehen. Ein schöner Vogel, rötlich-braun mit blau-grauen Flügeln, fliegt ein Stück mit uns um die Wette, bis er sich darauf besinnt, mit dem Strohhalm im Schnabel sein Nest weiterzubauen. Eine dreckige, graue Sau samt Ferkelschar, schwarz und ockerfarben und dreckgrau. Schafe heben und senken ihre Köpfe im Takt ihrer Schritte, die braunen Zotteln schlackern um den Kopf, dort, wo die Ohren sein müssen – es sind die Ohren!
Ab und an wechselt die Besatzung unserer Menschen- und Frachtfuhre. Eine dicke Frau hat es sich auf den Säcken im Liegen bequem gemacht. Frauen und Kinder verkaufen Wasser in Tüten, Mangos, Sojaspieße, Perlhuhn, Grillkäse. Käse! Käse in Ghana! Das hat Nordghana dem Süden voraus!


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