Montag, 25. Juni 2012

Kofi




Kofi heißt Kofi, weil er an einem Freitag geboren wurde. Eigentlich heißt Kofi Emmanuel, das interessiert aber keinen.

Kofi ist heute genau ein Jahr, einen Monat und neunzehn Tage alt, krabbelt, als wolle er an Olympia teilnehmen, macht mit ein bisschen Hilfe schon eigene Schritte und sein erstes Wort war definitiv – ich hab es ganz genau gehört! – Dörte.

Kofi klettert während der Entstehung dieses Textes kontinuierlich auf meinen auf dem Steinboden sitzenden Schoß, um wahlweise an meinem Stift oder meinem Kettenanhänger zu lutschen.

Kofi kommt sowieso immer vorbei, wenn ich gerade auf der gemeinsamen Terrasse sitze, Avocados schäle, mir hundsgemeine Matheaufgaben für die Sechstklässler ausdenke, den Gewinner des Malwettbewerbes ausfindig mache oder selbst mit Pinsel, Schere und Papier herumhantiere (Obwohl ich nie ein Fan von Stochastik war, kann ich bestätigen, dass mit mindestens 94,7%iger Wahrscheinlichkeit jede Postkarte, die ich in den letzten Wochen auf Reisen geschickt habe, ein paar Spritzer Kofispucke mit sich trägt – Glückwunsch, wenn Du auch was bekommen hast!)

Kofi lebt allein mit seiner 21-jährigen Mama Amina im Raum neben Ruth und mir. Sein Papa kommt nur selten vorbei, um über Nacht zu bleiben und sich dann wieder über Monate nicht zu melden, ist also ein waschechtes Arschloch, wie es im Buche steht.

Kofi trägt keine Windeln, pinkelt sich noch immer nach Herzenslust ein, geht dafür aber wenigstens wie eine Katze immer auf denselben Fleck: die oberste der drei Stufen zu unserer Terrasse, von wo aus man den ganzen schönen Kofiurin bequem runterwischen kann – Schlauer Junge!

Kofi ist ein Einzelkind, Mama Amina will aber auf jeden Fall noch mehr Kinder bekommen. Hoffentlich nicht von Kofis Papa, denn der ist ja wie gesagt ein waschechtes Arschloch, wie es im Buche steht.

Kofi verliert durch den von Ruth und mir eingeführten Salat-Montag (freu mich schon wie Bolle auf heute Abend!) die ghanaische Scheu vor ungekochtem Gemüse.

Kofi hört viele Sprachen um sich herum und wird in einigen Jahren wohl Selee - die Dorfsprache -, Ewe - die Sprache der Volta Region -, Hausa – die Sprache seiner Mutter -, Englisch – die Schul- und Amtssprache - und (wenn meine lingualpädagogische Vorbehandlung effektiv sein sollte) ein paar Brocken Deutsch („Guten Morgen, kleiner Mann.“ „Nee, kriegste nicht. Ätsch-Bätsch“ „Wenn deine Mama nicht hinschaut, klau’ ich dir deine Mango!“) sprechen.



Kofi lacht konspirativ, wenn ich mich unter Aminas Gelächter vor dem sonntäglichen Gottesdienst verstecke oder mir seine Mama fünf Minuten vor Arbeitsbeginn ein augenzwinkerndes „I’m sooo sorry, you can’t go to work today – the rain is coming!“ zuwirft.

Kofi ist immer der dumme Junge, wenn er die Bälle fangen muss, die Nachbarsjunge Dennis und ich uns über ihn hinweg zuwerfen.

Kofi mag Schoko-Banane-Muffins, die Ruth und ich nach langer Wartezeit auf importiertes Backpulver doch noch backen und im Dorf verteilen konnten.

Kofis Mama ist Muslimin, Kofi selbst wird aber nächsten Monat christlich getauft werden, weil sein Vater – das waschechte Arschloch, wie es im Buche steht – Christ ist. Wenn Kofi 14 ist, wird er selbst über seine Religion entscheiden dürfen.

Kofi wird überall und vor jedermanns Augen ungeniert gesäugt und bekommt für so viel undeutsche Schamlosigkeit von mir einhundertsiebenunddreißig Pluspunkte.

Kofi sieht mit Haaren eigentlich viel schöner aus als ohne.

Kofi wird in 15 Jahren langsamer rechnen können, schlechteres Englisch sprechen und mehr Rechtschreibfehler machen als andere 16-jährige in West- oder Südghana, weil die Volta Region im Osten, die den restlichen Gebieten erst später angeschlossen worden ist, politisch, infrastrukturell und gesellschaftlich eher stiefmütterlich behandelt wird (Irgendwie kenne ich das doch…).

Kofi geht nicht in die Kinderkrippe. Wenn Mama arbeitet, ist Kofi auf dem Rücken mit dabei, egal, ob auf der Farm Mais angebaut oder das daraus geploppte Popcorn verkauft wird.

Kofi ist der ungekrönte Star der gesamten Nachbarschaft, die sich gern (lustiges Glucksen, ungeschicktes Aufstehen, vollkommen sinnfreies Sich-im-Kreis-Drehen) oder weniger gern (extrem ätzendes Aufmerksamkeitsschreien, besonders am viel zu frühen Morgen) von ihm unterhalten lässt.

1 Kommentar:

  1. Der kleine ist ja total süß. Im Gegensatz zu den Pennern, die in Berlin überall hinpissen. Aber immerhin hat er es ihnen voraus, immer an die gleiche Stelle zu machen. Das ist wahrer Fortschritt, würde ich sagen. Viele sollten sich an ihm ein Beispiel nehmen. ;-)

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